Brunello Cucinelli: „Nehmen Sie sich Zeit fürs Leben“
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Brunello Cucinelli hat aus Kultur und Nachhaltigkeit die Eckpfeiler seiner Produktion gemacht. Für seinen „humanen Kapitalismus“ hat der Unternehmer zuletzt den Ehrendoktortitel in „Design für das Made in Italy: Identität, Innovation und Nachhaltigkeit“ erhalten, der ihm von der Universität der Stadt Caserta verliehen wurde. Vor den Universitätsstudenten und Akademikern hat Cucinelli eine „Lectio“ gehalten: „Lernen Sie, aber nehmen Sie sich auch Zeit fürs Leben“, lautet sein Credo. Cucinelli ist redegewandt und offen. Er gestikuliert gern und schaut beim Reden seine Ansprechpartner mit Interesse an. An Humor fehlt es ihm nicht, vor allem wenn er von Philosophen spricht, die seine ganz große Leidenschaft sind. Als kreativer Designer hat er Freude am Austausch. Er nimmt sich Zeit, um die Person, mit der er sich unterhält, kennenzulernen. Wir haben Brunello Cucinelli in Caserta bei der Verleihung getroffen und uns mit ihm über die Diskrepanz zwischen Nachhaltigkeit und Luxusmode unterhalten.
Sie haben Nachhaltigkeit zu Ihrem höchsten Gebot gemacht, das ist in der konsumorientierten Modeindustrie nicht so üblich. – Brunello Cucinelli: Ich bin als Bauernsohn aufgewachsen. Unser Leben war zutiefst mit der Natur verbunden. In dem Bauernhaus auf dem Lande in meinem Dorf Castel Rigone in Umbrien, wo ich eine schöne Kindheit verbracht habe, habe ich das Leben im Einklang mit der Natur gelernt. Wir bearbeiteten das Land mit Tieren, wir hatten keinen Strom, aber der Himmel und die Sterne waren meine erste Inspirationsquelle. Ich wuchs auf, indem ich mit meinen Füßen auf der Erde lief, aber ständig zum Himmel schaute. Das hat mich geprägt. Das Konzept Nachhaltigkeit habe ich in mein Unternehmen einfließen lassen.
Mode steht oft für Verschwendung. Ist es nicht ein Widerspruch, in dieser Branche von Nachhaltigkeit zu sprechen? – Jeder Unternehmer schaut auf das Erbe, das er seinen Kindern hinterlässt. Ich komme aus der Bauernkultur, in der man nichts wegwirft. Daher habe ich mich für das Handwerk höchster Qualität entschieden, das zeitlos ist.
Sie treten für einen humanistischen Kapitalismus ein. Was bedeutet das? – In den letzten 30 Jahren dachten wir, wir könnten die Menschheit mit der Wissenschaft regieren. Jetzt haben wir erkannt, dass wir Wissenschaft und Seele brauchen. Ich sehe Menschen, ohne Respekt vor der Kultur, der Würde, der Armut der Menschen. Ich sehe in der Welt so viel Einsamkeit, so viel Härte. Die Sprache der sozialen Medien, die wie eine Art Babel ohne Höflichkeit, ohne Freundlichkeit geworden ist, hat dies noch verschlechtert. All dies muss sich ändern, all dies wird notwendigerweise einen revolutionären, spirituellen Neubeginn auslösen, ein Erwachen, das wir konkretisieren müssen, indem wir wieder bei den großen Werten beginnen.
Sie exportieren stark in die USA. Rechnen Sie mit Einschränkungen durch die Zollpolitik von US-Präsident Donald Trump? – Die Volkswirtschaften sind heute so stark miteinander verflochten, dass es zwar Scharmützel geben kann, diese dürfen uns aber keine Angst machen. Das, was wir produzieren, ist für Menschen, denen es so gut geht, dass sich für sie auch in dieser Situation fast nichts ändert, Menschen, die überall auf der Welt zu Hause sind, die ständig unterwegs sind. Natürlich tun mir die harten Methoden leid, auf die die USA jetzt setzen, aber für unsere Branche, den echten Luxus, mache ich mir keine Sorgen.
Wie gehen Luxusmode und Nachhaltigkeit zusammen? – Wir erleben derzeit eine Zeit der Neuorientierung. Von 2019 bis 2024 haben wir Modekonzerne unseren Umsatz verdoppelt. Aber wie viel können wir letztendlich verkaufen? Lassen Sie uns zu einem gesunden Gewinn zurückkehren, den ich immer angestrebt habe, und zwar zu einem jährlichen Nettogewinn von etwa zehn Prozent. So kann man konstant und nachhaltig wachsen. Wir sind an der Mailänder Börse notiert. Man kann erfolgreich sein, indem man einen fairen Profit anstrebt. 2024 haben wir zwölf Prozent erreicht.
Sie haben ein Zehnjahresprojekt zur Verdoppelung der Produktion gestartet. Was versprechen Sie sich davon? – Wir haben vier Fabriken gebaut, in denen wir bis 2033 wachsen und unsere Schneider ausbilden können. Das bedeutet Nachhaltigkeit. Nur wer gut lebt, arbeitet gut. Das Geheimnis des Erfolgs liegt hier: an schönen Orten zu arbeiten, ein gutes Gehalt, Zeit für sich und seine Familie zu haben. Andernfalls wird niemand mehr ein Arbeiter sein wollen.
Fürchten Sie die Auswirkungen der Künstlichen Intelligenz? – KI ist ein neuer Weg, den wir beschreiten müssen. Wir gehen in Richtung einer besseren Welt. Es werden neue Berufe entstehen, wir werden von härteren Arbeiten entlastet werden.
Sie beschäftigen sich viel mit Philosophie und Geschichte, sind auch ständig unterwegs. Woher nehmen Sie die Zeit, um Ihre Interessen zu vertiefen? – Ich sehe nicht fern, also habe ich ein bisschen mehr Zeit als andere. Außerdem habe ich den Vorteil, in einem kleinen Dorf zu leben: Wenn ich bei einem Freund zu Abend esse, brauche ich nicht 40 Minuten Autofahrt bis dorthin. —
Das Interview erschien in der Magazinausgabe Börsianer Grün 2025.

Autor
Korrespondentin Italien