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Energiepioniere: Rebellen von gestern, Börsianer von morgen

Mehr als 100 Milliarden Euro fließen bis 2040 in den Ausbau erneuerbarer Energie. Welchen Beitrag können die beiden Bürgerbeteiligungspioniere WEB Windenergie AG und Oekostrom AG dazu leisten – und wird einer von ihnen den nächsten IPO an der Wiener Börse einleiten?

Veröffentlicht

08.10.2025

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Windrad in der Sonne, davor Korn
© WEB Windenergie
Windräder waren der Anfang. Die WEB Windenergie AG könnte bald einen IPO planen. Ein Blick auf Chancen, Risiken und den historischen Ursprung des Unternehmens.

Sommer 1995. Im Radio läuft der Euro­dance-Song „I Wanna Be a Hippie“ in Dauerschleife, und an einem windigen Tag wird im niederösterreichischen Mostviertel Geschichte geschrieben. Auf einem kleinen Hügel bei Michelbach stellen 96 engagierte Menschen aus der Zivilgesellschaft das erste Windrad auf. Es sind Landwirte, Lehrer, Unternehmer. Sie alle eint etwas Aufmüpfiges: ihr Umweltbewusstsein oder die Ablehnung der Kernkraft. Rebellen, die sich auf Protesten trafen – viele mit einer an Abneigung grenzenden Reserviertheit gegenüber dem Börsenparkett.

Heute, genau 30 Jahre später, hat ihnen die Geschichte recht gegeben. Aus dem Bürgerprojekt wurde die nichtbörsennotierte WEB Windenergie AG mit rund 170 Millionen Euro Umsatz und einem Ebit von zuletzt 43,6 Millionen Euro. Die Geschäftschancen erscheinen sonnig. Österreich hat es sich zum Ziel gesetzt, bis 2030 den Strom vollständig aus erneuerbaren Quellen zu decken. Bis 2040 soll das Land klimaneutral sein – wobei die Elektrifizierung von Verkehr und Industrie das Herzstück bildet. Das Investitionsvolumen in den kommenden 15 Jahren beträgt laut der Interessenvertretung Österreichs Energie 100 Milliarden Euro. Und die WEB? Sie will kräftig mitmischen.

Projekt-Pipeline: Sechs Milliarden

„Unsere Projektpipeline für die kommenden zehn Jahre umfasst vier Gigawatt“, sagt WEB-Finanzvorstand Michael Trcka im Gespräch mit dem Börsianer. Für Branchenoutsider umgerechnet: Über die Faustformel „Ein Gigawatt kostet 1,5 Milliarden Euro“ entspricht das Investitionen in Wind-, Photovoltaik- und Speicheranlagen von etwa sechs Milliarden Euro. Auch wenn man davon ausgeht, dass nicht jedes Projekt tatsächlich umsetzbar ist, erscheint ein Projektvolumen von 200 bis 300 Millionen Euro pro Jahr realistisch, meint ­Trcka. Um die durch die Energiewende im Markt liegenden Potenziale bestmöglich zu heben, überlegt Trcka, mit seinem Vorstandsteam an die Börse zu gehen.

Wenn Börse, dann behutsam vorgehen.
Michael Trcka
CFO, WEB Windenergie AG

Was bei manch anderem Unternehmen vielleicht ein Formalakt wäre, stellt sich bei einem durch seine DNA als Bürgerbeteiligungsprojekt geprägten Unternehmen jedoch als Herausforderung dar. Ab sofort will man behutsam mit den Aktionären diskutieren, um dann im kommenden Mai auf der Hauptversammlung gegebenenfalls den Plan zu dem Beschluss vorzulegen, wofür es 80 Prozent der anwesenden Aktionärsstimmen braucht. Somit würde sich das Fenster für ein Börsenlisting mit Kapitalerhöhung (IPO) fürs erste Halbjahr 2027 öffnen. Nur: Gehen die Aktionäre mit, die erst letzten Sommer gegen eine Kapitalerhöhung gestimmt haben, weil man sich nicht auf einen entsprechenden Ausgabepreis einigen konnte?

Two line graphs: Left shows annual average price in EUR (2015-2024), peaking in 2022. Right shows dividends in EUR (2015-2024), peaking in 2023.
© WEB Windenergie
Übersicht zu den Dividenden (rechts) sowie den Handelspreisen der WEB Windenergie-Aktie von 2015 bis 2024. 2025 verlor die Aktie an Wert und wird derzeit bei unter 100 Euro gehandelt..

Vorbereitung eines Börsengangs

Insidern zufolge dürfte eine Mehrheit für einen IPO offen sein. Zum Beispiel Andreas Zajc, mit dem „Anteilsschein Nummer eins“ Aktionär der ersten Stunde. „Dass wir es ohne die Börse schaffen, war lange Teil unserer Identität. Aber vielleicht ist jetzt die Zeit, um weiterzuwachsen und noch mehr für die Energiewende beitragen zu können. Und um die nächste Generation zu erreichen, die über Neobanken und Trading-Apps navigiert, könnte ein Börsenlisting sicher helfen“, sagt der 56-Jährige im Gespräch mit dem Börsianer. Natürlich bleiben für ihn noch einige Fragen offen: Kurspflege, richtige Vermarktung und auch der Ausgabepreis der jungen Aktien, mit dem die bestehenden Aktionäre zufrieden sein müssen – derzeit wird die Aktie um knapp 100 Euro gehandelt, der Höchststand während der Energiekrise 2022 lag bei über 200 Euro. Und dann gilt es eben auch, die Kosten abzuwägen.

Ausschnitt eines Bildes einer Hauptversammlung mit vielen Menschen
© WEB Windenergie
gar nicht brav. Heftige Debatten sind bei einer WEB-Hauptversammlung keine Seltenheit. Kommt es im Mai 2026 zur IPO-Diskussion, ist für Aufregung gesorgt

Was kostet ein IPO?

Ein Börsengang klingt teuer – ist aber oft günstiger als gedacht. Der Einstieg in den Direct Market Plus kostet laut der Wiener Börse einmalig zwischen 5.000 und 12.500 Euro, dazu kommen rund 4.000 Euro jährlich. Die reinen Börsengebühren eines IPOs liegen bei maximal 50.000 Euro – ein Bruchteil der Gesamtkosten, die laut einer österreichischen Investmentbank meist zwischen drei und fünf Prozent des Emissions­volumens betragen.

Auch wenn IPOs in Wien zuletzt selten waren, gibt es mit dem IPO von Steyr Motors und den Listings von Reploid Group, Re Guest oder UKO Mikroshops einige Beispiele, bei denen die Börse einen Wachstumsschub bewirkte. Sinnvoll wird ein IPO laut Experten ab einem Volumen im höheren zweistelligen Millionenbereich – dann wird’s auch für in­stitutionelle Investoren wie Versicherungen und Pensionskassen interessant.

Dazu ein Vertreter einer Pensionskasse zum Börsianer: „Eine Börsennotierung wäre für uns jedenfalls ein Game­changer. Der Energiesektor ist gerade aus Nachhaltigkeitsperspektive sehr spannend. Derzeit ist uns die Prüfung solcher Unternehmen einfach zu aufwendig, um über Private Equity oder Ähnliches investieren zu können.“

Erneuerbare Energie bei Investoren gefragt

Wolfgang Matejka, der den auf Österreich fokussierten Fonds „Mozart 100“ managt, meint, dass Unternehmen wie die WEB Windenergie AG oder die Oekostrom AG durchaus interessant seien – gerade weil sie aus ethisch-moralischen Grundsätzen heraus entstanden sind. Allerdings stellt er die Erwartung eines Investors klar: „Da müssen die Dividenden passen und der Shareholder Value sowie die Überzeugung, wenn es Sinn ergibt, auch alles an einen besseren Anbieter zu verkaufen – auch wenn der nicht dem ökologisch-moralischen Muster entspricht.“ Gerade wenn es um „feindliche Übernahmen“ geht, dürfte manchen Kleinaktionären der Gusto auf einen Börsengang vergehen. Ein Aktionär dazu mit einem Schmunzeln: „So wie ich die WEB kenne, wären wir kein einfacher Übernahmekandidat.“

Es bleibt also spannend. Finanzvorstand Trcka will jetzt in einen intensiven Diskurs mit den Aktionären über einen möglichen IPO treten. Welches Volumen könnte angestrebt werden? 100 Millionen, wie manche in der Branche angesichts der großen Projektpipeline vermuten? Trcka relativiert: „Wenn wir den Weg an die Börse gehen, werden wir behutsam vorgehen. Mit zu viel Kapital macht man auch tendenziell einige schlechte Projekte.“ Er spricht von einer ersten Kapitalerhöhung von 50 bis 60 Millionen Euro – dann, wenn auch das Marktumfeld passt. Kommen dann noch weitere spannende Projekte hinzu, könne man den Schritt ja wiederholen. Dann wisse man ja schon, wie so etwas geht.

Fakt
Oekostrom AG – ein zweiter Kandidat
Ulrich Streibl im Porträt und im Anzug

Im Unterschied zur WEB, die primär als Kraftwerksbetreiber agiert, tritt die Oekostrom AG hauptsächlich als Anbieter sowie Händler mit erneuerbarer Energie auf. Insider rechnen damit, dass ein möglicher IPO der WEB Windenergie AG, die selbst an der Oekostrom AG beteiligt ist, dazu führen könnte, dass auch die mit einem Umsatz von etwa 130 Millionen Euro kleinere Oekostrom AG diesen Weg gehen könnte. Eigentlich hatte CEO Ulrich Streibl (siehe Foto) die Börsenpläne seines Vorgängers erst einmal ruhen lassen, da man die Wachstumsfinanzierung über zwei Kapitalerhöhungen sicherstellen konnte. Im Gespräch mit dem „Börsianer“ stellt Streibl aber klar: „Ein Börsengang ist weiter eine Option – mit der Möglichkeit einer breiten Kapitalaufnahme, höherer Liquidität im Aktienhandel, mehr Sichtbarkeit und einem erweiterten Investorenumfeld. Aber: Uns ist es auch wichtig, unsere Identität als Bürgerbeteiligungsprojekt zu wahren.“ Für kommendes Jahr ist deshalb zunächst wieder eine Kapitalerhöhung über das eigene gebührenfreie Aktienportal geplant. Bei der letzten 2022 sammelte man 12,6 Millionen Euro ein. Erst dann wird weiter evaluiert. „Es kann sein, dass wir in Zukunft so viel Kapital aufnehmen wollen, dass wir die Börse brauchen“, so Streibl. Zu einem möglichen Listing der Oekostrom AG an der Börse wurde 2018 ein Stimmungsbild eingeholt: Die Aktionäre zeigten sich positiv.

Daniel Nutz

Autor

Daniel Nutz

Chefredaktion

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