Martin Kocher: „Haben strukturell viel auf den Weg gebracht“
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Martin Kocher sitzt kurz vor Mittag in seinem mondänen Büro im Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft am Stubenring im ersten Wiener Gemeindebezirk, mit wachsamem Blick, aber sehr umgänglich. 2021 ist er als Arbeitsminister angetreten und hat 1,5 Jahre später auch die ÖVP-Ressorts Wirtschaft und Tourismus dazubekommen – als Quereinsteiger ohne Parteibuch, dafür mit exzellentem Ruf und inmitten einer wissenschaftlichen Karriere als Direktor des Instituts für Höhere Studien. Ein „bisschen mehr als 100 Prozent“ habe er in seine Zeit als Minister reingepackt, sagt er im Gespräch mit dem Börsianer. Was gelungen ist und was nicht, wofür er den Weg bereitet hat und wieso die nächste Regierung die Lohnnebenkosten senken muss.
Herr Kocher, Sie sind 2021 als Arbeitsminister angetreten, um den Arbeitsmarkt zu retten, und haben dann 1,5 Jahre später auch das viel größere Wirtschafts- und Tourismusministerium beerbt. Was ist Ihnen gelungen? – Martin Kocher: Wir haben strukturell einige Maßnahmen am Arbeitsmarkt vorangebracht, die uns helfen, resilienter zu sein. Man sieht auch jetzt, dass viele der Maßnahmen noch wirken im Bereich der Ausbildung, der Weiterbildung, der Wiedereingliederung. Wir hatten ein Jahr nach meinem Antritt Rekordtiefstände bei den Arbeitslosenquoten, zumindest was die letzten 15 Jahre betrifft. Wir haben zwar jetzt wieder steigende Arbeitslosigkeit, denn eine weltweite Konjunkturdelle bleibt natürlich auch am Arbeitsmarkt nicht ohne Folgen, aber gleichzeitig sehen wir, dass die Langzeitarbeitslosigkeit immer noch geringer ist als vor der Pandemie.
Die Industrie ist seit fast drei Jahren in der Rezession, der Wohlstand nimmt durch die hohe Inflation ab. Unternehmen schließen ihre Standorte in Österreich und investieren woanders. Was bleibt da von Ihrer guten Arbeit im Ministerium übrig? – Die strukturelle Veränderung bleibt. Im Nachhinein wird diese Regierung viel positiver gesehen, als sie vielleicht während dieser Zeit auch in der Öffentlichkeit wahrgenommen wurde. Wir haben die Klimatransformationsoffensive beschlossen, die wird aus meiner Sicht sicher weitergeführt werden. Wir haben den European Chips Act umgesetzt mittels Vorbelastungsgesetz, das uns ermöglicht, Investitionen im Mikroelektronikbereich zu unterstützen. Das sind alles Dinge, die sehr langfristig wirken. Ich glaube, es ist auch wichtig, als Minister verantwortlich und redlich zu sagen, was man tun kann.
Und das wäre? – Wir können in Österreich versuchen abzufedern, das machen wir am Arbeitsmarkt und auch durch das Bau- und Wohnpaket. Aber man kann nicht einer weltweiten Konjunkturschwäche als vergleichsweise kleines, exportorientiertes Land entgegenarbeiten, weil die Industrie deshalb in der Rezession ist, weil es auf der ganzen Welt eine geringere Nachfrage gibt. Sorgen bereiten mir strukturelle Faktoren auf europäischer Ebene, die die Unternehmen belasten und wo es jetzt Lösungen geben muss, in Europa, natürlich auch in Österreich, damit diese Belastung zurückgeht.
Welche Punkte sind das? – Das ist einfach an den Kosten festzumachen. Wir brauchen geringere Energiekosten in der Produktion. Sie sind glücklicherweise gesunken, aber immer noch über dem Niveau der USA. Bei den gestiegenen Bürokratiekosten braucht es Lösungen, insbesondere auch auf europäischer Ebene. Es gibt immer wieder neue Belastungen durch Berichtspflichten und durch Bürokratie, die die Unternehmen im Moment von ihren Kerntätigkeiten fernhalten. Und die dritte Kostenkomponente sind die Lohnkosten, die auch relativ stark gestiegen sind.
Die Lohnkosten sind ein heftig diskutiertes Thema, da gehen die Meinungen in der Politik aber sehr weit auseinander. – Man kann lange diskutieren, welche verschiedenen Komponenten das getrieben haben, aber wir müssen alles tun, was in der Macht einer Regierung steht, dass die Lohnkosten nicht zum Belastungsfaktor für Unternehmen werden. Das heißt für mich ganz klar Lohnnebenkostensenkung, weil das ist der Teil der Lohnkosten, bei dem die Regierung etwas tun kann. Den Rest müssen sich die Sozialpartner ausmachen.
Wieso haben Sie das Thema nicht priorisiert? – Wir haben in der ablaufenden Legislaturperiode einen Fokus auf die Einkommenssteuer gelegt. Das war die ökosoziale Steuerreform mit der Tarifstufensenkung und die Abschaffung der kalten Progression. Das waren die beiden Hauptprojekte. Wenn man die Milliardenbeträge anschaut, die da zurückgegeben wurden, ist das sehr substanziell und auch strukturbildend. Die nächste Regierung muss sich auf die Lohnnebenkosten konzentrieren.
Wollen Sie das der neuen Regierung mitgeben? – Die Belastung des Faktors Arbeit führt dazu, dass weniger Leute eingestellt werden und weniger produziert wird. Österreich wird immer ein Hochlohnland sein. Das ist auch richtig so. Aber bei den Lohnnebenkosten brauchen wir dämpfende Maßnahmen. Jeder Prozentpunkt Lohnnebenkosten bedeutet derzeit ein Finanzierungsvolumen von 1,6 Milliarden Euro. Es gibt strukturell Möglichkeiten, ohne dass ich Leistungen einschränke. Über die nächsten fünf bis zehn Jahre wird aufgrund der Demografie die Arbeitslosigkeit zurückgehen, und dadurch habe ich Möglichkeiten, bei der Arbeitslosenversicherung etwas weniger hohe Beitragssätze zu haben. Man muss es nur fixieren. Man muss es jetzt fixieren, denn sonst passiert es auch nicht. Vorgeschlagen haben wir 0,5 Prozentpunkte pro Jahr.
Das lässt sich auch gegenfinanzieren? – 0,5 Prozentpunkte sind 800 Millionen Euro im Jahr. Das lässt sich aus meiner Sicht insofern gegenfinanzieren, da sich ungefähr ein Drittel von selbst finanzieren würde, weil mehr Anreiz zum Arbeiten besteht. Und der Rest, sagen wir 500 Millionen Euro, das ist grob geschätzt, muss man über einen sparsamen Budgetvollzug oder andere Einnahmen gegenfinanzieren. Aber 500 Millionen Euro pro Jahr in einem Budget sind schon machbar.
Es heißt, viele junge Menschen wollen lieber Teilzeit arbeiten, Freizeit ist ihnen wichtiger. Wie bekommen wir sie in die Vollzeitarbeit? – Interessanterweise ist es ein gewisses Klischee, das da existiert. Der Rückgang der Arbeitszeiten ist über die verschiedenen Altersgruppen ähnlich. Aber wir brauchen einen gesellschaftlichen Diskurs. Dass wir alle weniger arbeiten und uns die gleichen Leistungen vom Staat erwarten, wird nicht funktionieren. Weil weniger arbeiten heißt weniger Steuern, heißt weniger Beitragseinnahmen. Das heißt, die Leistungen werden dann auch weniger. Wir wollen Wohlstand, die Klimaziele erreichen, die Finanzierung unseres Gemeinwesens und die Digitalisierung vorantreiben. Dazu brauchen wir alle. Weniger arbeiten heißt sich auch weniger leisten können als Gemeinschaft oder als Individuum.

Wo sehen Sie die große Herausforderung? – Wir kommen aus einer Zeit, wo Arbeitslosigkeit die große Problematik dargestellt hat. Jetzt kommen wir in eine Zeit, wo Arbeitskräfteknappheit eine größere Problematik darstellen wird. Das heißt, ich brauche Instrumente, die Fachkräftezuwanderung vereinfachen. Deswegen haben wir die Reform der Rot-Weiß-Rot-Karte durchgeführt. Jetzt kann man sagen, es hätte noch viel weitgehender sein sollen. Nur das war das, was zu dem Zeitpunkt möglich war. Aber ich glaube, dass jetzt alle in Österreich verstanden haben, wir brauchen Fachkräftezuwanderung, sonst verlieren wir an Wohlstand.
Was nehmen Sie mit aus Ihrer Ministerzeit? – Eine wichtige Rolle des Ministers wird oft unterschätzt: Ja, es geht darum, Dinge umzusetzen und Gesetzesbeschlüsse im Parlament zu erwirken, aber es geht auch darum, den Weg für wichtige Reformen zu bereiten, die noch kommen müssen, wo man vielleicht nicht die ganz großen Schritte geschafft hat. Und das ist einfach ein Bohren harter Bretter, wenn man das so sagen darf.
Sie werden Robert Holzmann in der OeNB 2025 beerben. Was reizt Sie an der Aufgabe als Nationalbank-Gouverneur? – Die Oesterreichische Nationalbank ist für Ökonomen eine sehr attraktive Institution, weil sie nahe an der Forschung ist, weil Geldpolitik ein sehr wichtiger Aspekt der Wirtschaftspolitik ist. Natürlich ist das keine parteipolitische Funktion, es ist eine unabhängige Funktion. Aber Wirtschaftspolitik besteht letztlich aus drei großen Bestandteilen: die Fiskalpolitik und Steuerpolitik, die der Finanzminister macht, die Wirtschaftspolitik, die der Wirtschaftsminister macht, und die Geld- und Währungspolitik und Finanzmarktstabilität, die in der OeNB beim Gouverneur und Direktorium liegt. Und deshalb sehe ich das gar nicht als Abschied aus der Wirtschaftspolitik.
Ist die Leitung der OeNB ein Prestigejob? – Ich würde das nie als Prestigejob bezeichnen, es ist eine sehr, sehr wichtige Funktion und vor allem immer dann gefragt, wenn es Finanz- oder Währungskrisen gibt. Ich bin gut vorbereitet darauf, weil es mit viel Verantwortung verbunden ist und natürlich auch gutes Wissen über Geld, über Währung, über Makroökonomik erfordert. Es ist gut, wenn man demütig ist, denn es geht um Verantwortung.
Wo möchten Sie mitgestalten? – Es ist eine inhaltlich neue Herausforderung. Und eine gute Ergänzung für mich, sonst hätte ich mich nicht beworben.
Inwiefern? – Eine gute Ergänzung von dem, was ich kann, was ich weiß, was ich gelernt habe über die letzten Jahre und Jahrzehnte, und einigen neuen Dingen, auf die man sich freuen kann, die mit viel Verantwortung verbunden sind. Ich freue mich auch wieder auf die Wissenschaftsnähe. Ich bin sehr gerne Minister, für mich ist das ein sehr großes Privileg, das sein zu dürfen. Aber natürlich geht mir die Forschung ein bisschen ab und die Nähe zu Forscherinnen und Forschern.
Nehmen Sie etwas mit als Erinnerung? – Ich nehme viele sehr interessante und positive Erinnerungen mit. Es war teilweise eine verrückte Zeit, das muss ich ganz ehrlich sagen. Ich habe versucht, in dieser Zeit ein bisschen mehr als 100 Prozent zu geben, weil das gehört dazu, das ist auch die Erwartungshaltung an einen Minister. Deswegen ist es auch wichtig, dass man sagt, okay, das kann man eine gewisse Zeitlang machen, aber irgendwann braucht man auch wieder was anderes, weil man vielleicht diese Intensität nicht aufrechthalten kann.

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