Brunello Cucinelli: Kaschmirkönig und Mäzen
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Der Modedesigner Brunello Cucinelli ist einer der ungewöhnlichsten und erfolgreichsten Unternehmer Italiens. Sein an der Mailänder Börse notierter Konzern hat in den letzten Jahren seinen Umsatz verdreifacht und ist zum Emblem für nachhaltige Mode geworden. Cucinelli zitiert gern Epikur, Marc Aurel, Kant und Voltaire und bewegt sich im Jetset: Dabei ist er als Bauernsohn in Castel Rigone, einem kleinen Dorf im mittelitalienischen Umbrien, aufgewachsen.
Cucinelli ist ein Kind vom Land. Sein Vater beackerte Felder und züchtete Tiere. Der Sohn besaß je eine Hose für den Sommer und den Winter und musste damit auskommen. „Wir hatten wirklich wenig, aber wir waren glücklich. Vor allem die Verbundenheit mit der Natur und ihren Rhythmen hat mich sehr geprägt“, erzählt der Industriekapitän im Gespräch mit dem Börsianer Grün.

Als die Erträge weniger wurden, nahm der Vater einen Fabrikjob an. „Er wurde nicht gut behandelt, wurde erniedrigt. Wenn er abends nach Hause kam, hatte er manchmal Tränen in den Augen“, berichtet Cucinelli. Das prägte ihn so stark, dass er sich vornahm, später ein Unternehmen zu gründen, in dem seine Mitarbeiter fair behandelt würden. Als Bauernsohn besuchte Cucinelli keine höhere Schule, aber mit 15 lernte er im Dorf zwei Studenten kennen, die nächtelang über Philosophie diskutierten, und entdeckte so seine Liebe für dieses Fach. Er machte eine Ausbildung im Vermessungswesen, studierte anschließend Ingenieurbau, schaffte aber nur eine einzige Prüfung und warf dann das Studium hin.
Schönheit macht schöpferisch
In diesen Jahren lernte er seine Frau Federica Benda kennen, die mit ihrer Schwester ein Kleidergeschäft führte. Mit 23 Jahren begann Cucinelli zusammen mit seiner Frau eine kleine Pulloverproduktion. Sein Grundkonzept war so einfach wie wirkungsvoll: Er gab feiner Kaschmirwolle, die bis zu diesem Zeitpunkt nur in Naturfarben zu erhalten war, knallige Farben. Das Interesse war sofort groß, vor allem im Ausland. „Österreicher zählten zu meinen ersten Kunden. Sie haben immer pünktlich bezahlt“, schwärmt Cucinelli. Das war damals wichtig, brauchte er doch dringend liquide Mittel zum Ausbau seines Betriebs. „Seit damals sind mir viele österreichische Kunden treu geblieben“, erzählt der Unternehmer.

Cucinelli, stets smart und casual gekleidet mit Jeans und Jackett, hat sich im mittelalterlich anmutenden Solomeo sein Reich aufgebaut. Hier befinden sich die Produktionsanlagen seines gleichnamigen Unternehmens. Das Dorf auf einem Hügel nahe Perugia, aus dem seine Frau Federica stammt, hat er restauriert. Ganz oben im historischen Zentrum wohnt er samt seiner Familie. Unterhalb, wo auch der Großteil der 500 Einwohner lebt, befindet sich sein Firmensitz. Inzwischen ist alles bis ins kleinste Detail zu einer Art Freilichtmuseum umgestaltet worden – auch ein Theater und eine Bibliothek wurden eingerichtet. Cucinellis Unternehmen ist mit 2.250 Mitarbeitern ein Vorbild für humane Arbeitsbedingungen (hier gehts zum Interview).
Keine Überstunden erlaubt
Das Wohlbefinden des Personals ist höchstes Gebot. Die Arbeitsräume sind hell, große Fenster blicken auf die Zypressen und den Springbrunnen in der Mitte der U-förmigen Fabrik. Ganz nach dem Motto: Schönheit macht schöpferisch. Um 17.30 Uhr beginnt für alle der Feierabend. Vom Manager über den Designer bis zur jüngsten Schneiderin: Jeder verlässt den Betrieb. Überstunden sind nicht erlaubt, auch wenn es noch Arbeit zu erledigen gäbe. Selbst das Senden einer E-Mail nach Arbeitsschluss wird im Unternehmen nicht gern gesehen. „Acht Stunden am Tag genügen, wenn man konzentriert und effizient arbeitet. Ich will meinen Mitarbeitern nicht die Seele rauben. Sie sollen Zeit für ihre Familie, ihre Interessen und ihre persönliche Weiterentwicklung haben: Ausgelaugte Mitarbeiter sind nicht kreativ“, lautet das Credo Cucinellis.
Die neuen Mitarbeiter werden vor Ort ausgebildet und in das Unternehmen integriert, die Löhne liegen über dem italienischen Durchschnitt. 2023 erhöhte Cucinelli die Löhne um 20 Prozent. Einige Arbeiter und Schneider verdienen mehr als die Angestellten. In Solomeo hat Cucinelli eine europaweit anerkannte Meisterschule des Kunsthandwerks gegründet, bei dem Jugendliche Stich um Stich das Schneiderhandwerk erlernen.
„Wir müssen die Berufsschulen stärken und der Arbeit in der Fabrik Würde, Wert, Ansehen und soziales Gewicht verleihen. Man sollte die Arbeit der Schneider und Stricker ebenso wertschätzen wie die der Designer“, sagt der Unternehmer. Den Generationswechsel hat Cucinelli längst vollzogen. Seine Töchter Camilla und Caroline sind beide schon seit Jahren im Vorstand. Carolina ist zudem Co-Kreativdirektorin. Ihr Vater hat das operative Geschäft schon länger an zwei familienfremde CEOs abgegeben, ist selbst aber Verwaltungsratspräsident und Kreativchef geblieben. Das will er auch noch längere Zeit tun, sieht er sich doch selbst als Garant für die Markenidentität.
Inzwischen widmet sich Cucinelli vielen Projekten. So hat er seiner von einem schweren Erdbeben erschütterten Region Umbrien zu einem Neustart verholfen. Konkret hat er den Wiederaufbau des Klosters in der umbrischen Kleinstadt Norcia mitfinanziert - die Heimat des Heiligen Benedikts, Schutzpatron Europas. Auch aus persönlicher Verbundenheit: Cucinelli ist eng mit dem Prior des Klosters befreundet. —
Das Porträt erschien in der Magazinausgabe Börsianer Grün 2025.

Autor
Korrespondentin Italien