Deutschland: Ein Schimmer – mehr nicht
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Bei Colsman, tief im Herzen Deutschlands, gar nicht weit weg vom Heimatort des noch neuen Kanzlers Friedrich Merz in Südwestfalen, sagt man, dass hier das Herz der deutschen Metallverarbeitung schlägt. Colsman ist ein typisch mittelständischer Verarbeiter von Blechbauteilen, hier wird seit 150 Jahren geformt und nicht verbogen. Und das gilt auch für die Menschen. Bernhard Jacobs heißt der Mann, der für Colsman und mehr als 500 andere die politische Arbeit erledigt. Er ist Chef des passenden Verbands, eben jenes der Blechumformung, und er beschreibt die Lage so: Der Umsatz der Branche ist in nur einem Jahr um 12,2 Prozent in den Keller gesackt. Arbeitsplätze? Mehr als zehn Prozent verschwunden. Betriebe? Vier Prozent gaben auf. Die Produktionsleistung ist auf dem niedrigsten Wert der vergangenen zehn Jahre. Verschnaufpause. Und dann sagt Jacobs das, was Unternehmer und Verbandsfürsten derzeit häufiger sagen: Die Geschäftserwartungen hätten sich ein ganz klein wenig verbessert: „Ein Schimmer – mehr nicht.“
Rund 100 Tage ist die schwarz-rote Regierung unter Friedrich Merz nun im Amt. Der schwarze Teil, also CDU und CSU, hatte zwei Themen, mit denen Merz die Wahl gewann: Migration und Wirtschaft. Bei der Migration soll es jetzt sein CSU-Innenminister richten, bei der Wirtschaft ist Merz, der ehemalig Blackrock-Deutschland-Chef war, auch selbst mit im Boot. Und wie es der Wirtschaft geht, das bekommt Merz nicht nur von den Blechumformern aufs Brot geschmiert.
Keine Ausreden
Die deutsche Regierung unterhält dazu einen eigenen Sachverständigenrat, der zweimal im Jahr ein Gutachten zu dem Thema vorstellt. Die Frühjahrseinschätzung wurde soeben publik, und sie fällt bescheiden aus: kein Wachstum, dafür überbordende Bürokratie. Dazu die Warnung des Gremiums: Achtung, das Geld, das dank der Grundgesetzänderung fast unbegrenzt fließt, darf nur für Investitionen ausgegeben werden und nicht, um anderweitig Löcher zu stopfen. Und eine aus dem Rat, Veronika Grimm, wurde sogar ganz deutlich: „Ich warne davor, Trump, Putin und Xi als Ausrede zu nutzen.“ Sie befürchtet, dass das, was durch die staatliche Ausgabenpolitik angefacht wird, nur ein Strohfeuer ist.
Wer sich erinnert: Merz hatte nach seiner Wahl und vor seiner Kanzlerwerdung in einem Husarenritt noch einmal den alten Bundestag zusammengerufen und ihn dazu bewegt, das Grundgesetz so zu ändern, dass unbegrenzte Verteidigungsausgaben möglich sind und für Infrastruktur und Klimaschutz je 500 Milliarden Euro über die nächsten acht Jahre zur Verfügung stehen.
Das große Geldausgeben wird flankiert von Steuererleichterungen, die Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) gerade auf den Weg bringt: Es geht um Sonderabschreibungen für Investitionen. Danach soll die Körperschaftssteuer sinken. Die Regierung rechnet damit, Unternehmen am Ende jährlich um mehr als zehn Milliarden Euro zu entlasten. Ein Hochsteuerland zu regieren – das will sich Klingbeil nicht länger sagen lassen.
Damit nicht genug: Merz hat als Wirtschaftsministerin die ehemalige Energiemanagerin Katherina Reiche eingesetzt. Sie soll neben der Steuerentlastung die zweite Großtat für die Wirtschaft vollbringen: bezahlbare Energiepreise. Prompt fordert die Ministerin einen „Realitätscheck der Energiewende“ und forciert das unter der vorherigen Ampelregierung Undenkbare: „Wir brauchen flexible Gaskraftwerke, die dann Strom liefern, wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint“, sagt die CDU-Politikerin und fragt eher rhetorisch: „Haben wir beim Ausbau der erneuerbaren Energien die Systemrisiken und Systemkosten vergessen?“
Realitätscheck für die Energiewende
Geldausgeben, Steuererleichterung und Senken der Energiepreise – eine Heldentat fehlt, und wer dazu Unternehmer befragt, erlebt welche, die verzweifelt zur Decke schielen: Es geht um die Bürokratie. Den Aufwand um die Regelwut der Ampelregierung, kombiniert mit den Vorgaben aus Brüssel, in den Griff zu bekommen, ist für Selbstständige, Mittelständler und Konzerne kaum zu bewältigen. Merz’ Joker dafür heißt Karsten Wildberger. Er ist der Minister, der Digitalisierung und Staatsmodernisierung auf seiner frischgedruckten Visitenkarte stehen hat. In seinem vorherigen Leben war er Chef der Ceconomy AG, zu der die Marken Mediamarkt und Saturn gehören. Wildberger muss sich ein neues Ministerium zusammenbauen, weil es bisher so etwas nicht gab. Die Hausaufgaben für ihn beschreibt Merz so: „Wir brauchen vor allem einen beherzten Rückbau der überbordenden Bürokratie. Wir werden die unzähligen Dokumentations-, Berichts- und Meldepflichten schnell und spürbar reduzieren.“ So weit das Regierungsprogramm zum Wirtschaft-wieder-in-Fahrt-Bringen, das sich Merz also vorgenommen hat. Und wann zeigt das seine Wirkung?
Es war am Tag zwei, nachdem die Sachverständigen ihr eher ernüchterndes Gutachten vorgelegt hatten, als das deutsche Bundesamt für Statistik mit einer eigenen Zahl aufhorchen ließ. Die Erbsenzähler stellten fest: Das deutsche Bruttoinlandsprodukt sei zwischen Jänner und März um 0,4 Prozent gewachsen. Das ist zwar mager, aber wer das Bild vom öden Wüstenboden bemühen will, auf dem nichts wächst, der hatte auf einmal ein ganz zartes grünes Pflänzchen vor Augen. Und die Zahl steht nicht einmal allein in der Wüste. Nicht nur bei den Blechumformern, sondern auch in anderen Teilen der Industrie sorgen steigende Auftragszahlen für mehr Zuversicht: Der Ifo-Index, der das misst, stieg jüngst zum fünften Mal in Folge. „Vor allem die Produktion im verarbeitenden Gewerbe sowie die Exporte entwickelten sich besser als zunächst angenommen“, sagt die Präsidentin des Statistischen Bundesamts, Ruth Brand.
Helden des Konsums
Wer das genauer anschaut, erlebt die nächste Überraschung: Ausgerechnet Autos, von der E-Transformation geplagt und von chinesischer Konkurrenz getrieben, waren ein Exportschlager, der im ersten Quartal die Wirtschaft stützte. Die Erklärung, die dann die Statistiker nachschieben, sorgt allerdings für Ernüchterung: Es sei der Trump-Horror. Seine erratische Zollpolitik, das Verhängen und wieder Pausieren von hohen Zöllen auf Güter, die nach Nordamerika exportiert werden sollen, habe dazu geführt, dass es „Vorzieheffekte im schwelenden Handelskonflikt mit den USA“ gebe.
Aber das ist eben nicht alles. Auch Verbraucher sind neuerdings wieder Helden des Konsums: Die privaten Konsumausgaben stiegen um 0,5 Prozent. Weniger Inflation und gestiegene Löhne sorgen dafür, dass alle wieder mehr shoppen gehen. Der neuen Regierung tun sie damit einen Riesengefallen. Denn sie braucht etwas, das sichtbar ist, bevor die Maßnahmen wirklich greifen können. Sie braucht den „Schimmer“, den Blechmann Jacobs ausgemacht hat. Alles, was beim Wachstum über der prophezeiten Nulllinie liegt, wird ihr hoch angerechnet. Der Ruf muss besser sein als die Lage – daran zumindest arbeitet die Regierung Merz in den ersten 100 Tagen hart.
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Korrespondent Deutschland
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