IV-Chef Georg Knill: „Wir haben ein Ausgabenproblem“
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Der Börsianer trifft Georg Knill in seinem Büro in der Industriellenvereinigung (IV) am Schwarzenbergplatz in Wien. Seine Stimmung ist verhalten. Seit drei Jahren sei die Industrie in der Rezession. Lohnsteigerungen von 30 Prozent in den letzten drei Jahren hätten zur Abwanderung und Schließung von Unternehmen beigetragen. Die Politik müsse es jetzt richten, die habe bisher ein Effizienzproblem gehabt. „Ich hoffe, dass alle Politiker verstanden haben, es ist ihre letzte Chance. Deshalb warne ich vor faulen Kompromissen. Die hohen Löhne sind einer der massivsten Treiber der sinkenden Wettbewerbsfähigkeit“, sagt Knill. Warum die Benya-Formel für Lohnverhandlungen nicht mehr zeitgemäß ist, wie das Pensionssystem reformiert werden soll und welches heiße Eisen die neue Regierung zuerst anfassen muss.
Der frühere Siemens-Konzernchef Joe Kaeser hat bei einer Anhörung im Deutschen Bundestag gemeint, es gebe nichts, was dafürspreche, in Deutschland zu investieren. Würden Sie diese Aussage auch für Österreich unterschreiben? - Georg Knill: Eine schwierige Frage. Eine Investition bedeutet den Glauben an einen Standort. Heuer und im Vorjahr erfolgten viele Investitionen nicht mehr in Österreich, weil der Export schwächelt und die Rahmenbedingungen hier nicht mehr so attraktiv sind.
Täglich gibt es Meldungen von Werksschließungen und einem Mitarbeiterabbau. Droht Österreich die Deindustrialisierung? – Die Gefahr einer Deindustrialisierung ist durchaus real, obzwar der Prozess schleichend ist. Wir erfahren von solchen Maßnahmen ja nur, wenn Unternehmen das berichten. Viele machen das stillschweigend. Wenn man die Entwicklung nicht stoppt, wird man sich in drei bis fünf Jahren fragen, wo die Industrie hin ist.
Ist die Schwäche unseres größten Handelspartners Deutschland verantwortlich dafür? – Die Wettbewerbsfähigkeit ist verlorengegangen, auch bei der Leistungsfähigkeit mangelt es. Wir haben immer noch hervorragende Produkte und Fachkräfte, aber die Preise sind als Folge der Lohnentwicklung durch die Decke gegangen. Wir sind Lohnkosten-Weltmeister oder zumindest -Europameister. Dazu kommen die viel zu hohen Energiekosten und, was immer mehr zu einem Problem wird, die hohen Kosten der EU-Berichtspflichten, also der Bürokratie.
Alle diese Probleme sind nicht neu. – Eine Lohnsteigerung von 30 Prozent in den letzten drei Jahren ist schon was Neues. Das ist dramatisch, zumal die Steigerung im Vergleich zu anderen Ländern überproportional ausfiel. Das ist die Folge der hohen Inflation, zudem sind viele Leistungen wie Mieten und Gebühren hierzulande indexiert. Das wiederum treibt die Arbeitskosten.
Die Strategie, dass die Menschen aufgrund der höheren Löhne mehr konsumieren, ist also nicht aufgegangen? – Nein, stattdessen steigt die Sparquote. Das ist ein klares Signal, dass das Vertrauen in den Standort und in die Zukunft zumindest gestört ist. Man kauft kein Auto oder ein Haus, wenn man nicht weiß, ob man morgen noch seinen Arbeitsplatz hat.
Zurück zu den Lohnkosten. Muss sich die Industrie nicht den Vorwurf gefallen lassen, zu wenig Druck auch schon auf frühere Regierungen ausgeübt zu haben? – Bei den Lohnverhandlungen muss man hinterfragen, ob die Benya-Formel noch zeitgemäß ist. Wir sind außer Belgien das einzige Land in Europa, das die Inflation als Basis für die Löhne heranzieht. Andere Länder haben deutlich unter der Inflationsrate abgeschlossen. Für ein Exportland wie Österreich ist das ein Problem, weil die Waren zu teuer werden. Wir haben bei den Lohnverhandlungen klar für Einmalzahlungen plädiert, um so die Teuerung abzufangen. Die wurde dann sogar doppelt bezahlt: durch verschiedene Zuschüsse der öffentlichen Hand und durch die Lohnerhöhungen.
Ärgert Sie, dass es so gekommen ist? – Das war ein Fehler, an dem wir alle hart nagen. Die hohen Löhne sind einer der massivsten Treiber der sinkenden Wettbewerbsfähigkeit.
Österreich ist das zweite Jahr in Rezession ... – … und die Industrie bereits das dritte Jahr, und ich glaube der Wifo-Prognose nicht, dass es nächstes Jahr ein einprozentiges Wachstum gibt. Wir gehen von einer Stagnation aus. Wir haben laut Statistik Austria seit 2019 einen Wohlstandsverlust von 2,6 Prozent, gemessen am BIP, erlitten. Wenn die höchste Maxime dieses Landes darin besteht, Wachstum zu erhalten, wir uns jetzt aber auf der schiefen Ebene nach unten bewegen, dann ist doch Feuer am Dach.
Mit einer neuen Regierung gibt es doch die Chance, Reformen wirklich anzugehen. – Die Nettoverschuldung steigt nächstes Jahr auf vier Prozent, und die Staatsschuldenquote liegt über 83 Prozent. Die neue Regierung muss das Budget in Ordnung bringen, die Konjunktur stimulieren und den Strukturwandel meistern. In den letzten 75 Jahren wurde in Österreich Wachstum immer über den Export generiert. Der hat im Inland Investitionen ausgelöst und Beschäftigung generiert, das wiederum hat hohe Lohnabschlüsse ermöglicht, und die haben dem Staat Einnahmen gebracht. Jetzt haben wir überall Defizite und zu hohe Steuern.
Die IV hat unter dem Titel „SOS Wohlstand“ bereits einen Forderungskatalog vorgelegt. Was sind die Eckpunkte? – Wir haben acht Kernthemen definiert, wobei die Senkung der Steuerquote von 43,5 Prozent auf unter 40 Prozent ganz oben steht. Das heißt auch Senkung der Lohnnebenkosten. Ganz wichtig: Es darf keine neuen Steuern geben. Denn wir haben kein Einnahmen-, sondern ein Ausgabenproblem. Jeder ruft gleicht nach mehr Geld, es wird aber nie kritisch hinterfragt, wofür. Es herrscht hier eine Vollkaskomentalität, dass jedes Problem, ob teure Energie oder hohe Mieten, mit Geld gelöst werden kann. Das ist, Beispiel Klimabonus, extrem teuer und zu hinterfragen.
Was muss auf der Ausgabenseite geschehen? – Da muss man auch ganz heiße Kartoffeln angreifen, zuvorderst die Pensionen. Ein System, das nur mit derzeit 30 Milliarden Euro Zuschuss aus dem Budget überleben kann, ist nicht nachhaltig. Das Zweite ist der Arbeitsmarkt, wo zwei Reformversuche gescheitert sind.

Was fordern Sie konkret bei Pensionen? – Natürlich ein höheres Antrittsalter. Das effektive Antrittsalter liegt derzeit bei 61 Jahren, jedes Jahr kostet uns 2,7 Milliarden Euro. Der Anstieg auf das gesetzliche Antrittsalter von 65 Jahren brächte elf Milliarden Euro Entlastung. Leistung muss sich lohnen. Das heißt, wer länger arbeiten will, darf nicht doppelt belastet werden. Es sollte steuerliche Anreize geben. Es braucht aber auch eine Bewusstseinsänderung, denn viele denken ab 55 nur mehr an die Pension. Die jährlichen Pensionserhöhungen, die vor Wahlen besonders üppig ausfallen, gehören ebenso hinterfragt wie die hohe Teilzeitquote. Ich verstehe die Angst der Politiker nicht, denn Änderungen betreffen ja keinen einzigen Pensionisten, sondern die nächste und übernächste Generation.
Worum geht es bei der Teilzeit? – Wir sind mit 37 Prozent Teilzeitquote Europameister, wobei nur ein Drittel der Teilzeitarbeitenden dies wegen Kinderbetreuung und Pflege macht. 800.000 Menschen arbeiten freiwillig weniger. Teilzeit ist aber die größte Falle der Altersarmut, vor allem für Frauen. Um das zu ändern, muss man bei der steuerlichen Benachteiligung der Vollzeit ansetzen. Viele denken, warum soll ich zehn Stunden mehr arbeiten, wenn ich netto nicht mehr verdiene? Da schlägt die Progression zu. Mein Vorschlag: Alle, die Teilzeit arbeiten und daher weniger in den Sozialstaat einzahlen, aber die Sozialleistungen voll konsumieren, sollten höhere Sozialversicherungsbeiträge zahlen. Das ist kontroversiell, aber wir brauchen neue Ideen.
Gilt das auch für den vernachlässigten Kapitalmarkt? – Wir brauchen einen komplett neuen Zugang zum Kapitalmarkt, auch im Hinblick auf die zweite und dritte Säule der Pensionsvorsorge. Skandinavische Länder, die kapitalmarktgedeckte Systeme haben, haben gar keine Budgetbelastung. Bei uns ist der Kapitalmarkt tabu. Alles, was damit zu tun hat, ist böse.

Wie hoch ist der Einsparungsbedarf insgesamt? – Um die EU-Maastricht-Kriterien bei der Verschuldung von drei Prozent zu erreichen, braucht es eine Senkung um 17 Milliarden Euro. Laut Eco Austria gibt es in den Bereichen Gesundheit, Pflege und Bildung ein massives Effizienzpotenzial, wenn Doppelgleisigkeiten, Ineffizienzen und Föderalismus ausgeschaltet werden. Es muss ein neues Budget geben. Man wird an vielen Schrauben drehen müssen, etwa den Klimabonus und die Bildungskarenz, die 500 Millionen kostet, ansehen. Die Förderungen haben sich von sechs auf zwölf Milliarden verdoppelt. Andererseits brauchen wir Geld für die Energiewende, weshalb der Transformationsfonds sehr wichtig ist. Also heißt es weniger ausgeben und gleichzeitig Anreize für Investitionen und Betriebsansiedlungen schaffen. Damit muss sich die neue Regierung transparent und ideologiebefreit auseinandersetzen.
Stichwort ideologiebefreit: Da müssen viele Politiker über ihren Schatten springen, oder es müssen neue Leute in die Regierung kommen. – Ja, viele werden ihre alten Positionen aufgeben müssen. Ich hoffe, dass alle Politiker verstanden haben, es ist ihre letzte Chance. Deshalb warne ich vor faulen Kompromissen. Letztlich ist es eine Frage des Leidensdrucks. In der Bevölkerung ist das aber noch nicht angekommen.
Was und wie trägt die IV zum geforderten Neuanfang bei? – Wir sprechen regelmäßig mit Vertretern aller Parteien auf allen Ebenen und regelmäßig mit dem Bundeskanzler. Wir stellen unsere Expertise zur Verfügung und machen Lösungsvorschläge. Für die Sachthemen liegt die Verantwortung bei den Ministerien. Das war auch der Grund, warum einige Probleme nicht gelöst worden sind.
Können Sie sich vorstellen, in die Politik zu gehen? – Nein, ich bin Gott sei Dank Unternehmer.

Autor 1
Finanzjournalistin

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Chefredaktion