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Interview

„Wir sind schneller als jeder andere auf dem Markt“

Bei der Montana Aerospace AG ist nach mageren Jahren und hohen Investitionen die Zeit der Ernte gekommen. Der ­Luftfahrzulieferer ist einer der wenigen Player am Markt, der die gesamte Wertschöpfungs­kette im eigenen Haus hat. Auch mit den Hauptkunden Boeing und Airbus haben die Vorstände Kai Arndt und Michael Pistauer eine gute Gesprächsbasis. Das Ding fliegt. Das Interview erschien im Börsianer Magazin am 7. Juli 2025.

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10.07.2025

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Michael Pistauer und Kai Arndt mussten den Investoren drei Jahre erklären, wann das Unternehmen denn endlich Geld verdient. Jetzt ist es so weit.

Können Sie mir mit einem Satz sagen, was die Kernstärke der Montana Aerospace ist? Kai Arndt: Wir haben ein One-Shop-Konzept, mit dem wir vertikal integriert Bauteile für die Luftfahrtindustrie liefern, die andere nicht so liefern können. Das ist unser Alleinstellungsmerkmal. Wir sind „local to local“, und wir sind schneller als jeder andere auf dem Markt.

Der Montana Aerospace ist die Restrukturierung gelungen. Wieso lief es nach dem Börsengang 2018 nicht rund?Michael Pistauer: Das sehen wir ganz anders. Aero­strucure ist ein extrem langfristiges Geschäft mit langen Investitionszyklen. Wenn man wie wir seit 2018 über eine Milliarde in die moderne Aerospace-Struktur investiert hat und das Geschäft entsprechend hochfahren muss, kostet das Zeit. Die Investitionsphase liegt jetzt hinter uns. Und wenn das an sich sehr Cashflow-starke Geschäft läuft, dann funktioniert das auch für viele Jahre. Das ist das Positive.

Arndt: Und wir hatten mit Covid und dem Ukrainekrieg zwei wirklich fundamentale Krisen zu verdauen.

Pistauer: Das war Richtung „expect the unexpected“. Das hat uns bei dieser Restrukturierung eigentlich ganz gut getan, denn wir konnten im Aerospace-Bereich zum Beispiel in den Krisen bei Zulieferern Marktanteile gewinnen.

Arndt: Würden wir mit den gleichen Arbeitspaketen weiterfahren, mit denen wir damals die Investitionen geplant hatten, dann wären wir heute vielleicht bei 50 Prozent Auslastung. Wir sind aber bei 70 Prozent. Wir haben durch unser Konzept sehr viele neue Kundenpakete gewinnen können. Auch im Space-Bereich und bei kleineren Ausrüstern, die jetzt vielleicht nicht Airbus und Boeing heißen, aber mit denen wir das Geschäft diversifizieren. Das ist sehr wichtig, denn wenn Große wie Boeing letztes Jahr in die Krise geraten, hoffentlich andere uns die Kapazitäten füllen. Wir werden im Aerospace-Bereich heuer eine Ebitda-Marge von 17 Prozent erreichen. Das ist für den Anfang gar nicht schlecht, aber sicherlich nicht das Ende.

"Ein großes Flugzeug wie die A320 besteht aus mehreren Millionen Teilen, davon sind 500.000 Teile Aerostructures, also für das Skelett des Flugzeuges, und die sind „mission critical“, also absolut entscheidend für die Kernfunktionen. Und die liefern wir", sagt Michael Pistauer.

Sind Boeing und Airbus Ihre größten Kunden? – Pistauer: Wir liefern Bauteile für kommerzielle Flugzeuge, und 80 bis 90 Prozent des Marktes ist im Wesentlichen von Airbus und Boeing direkt und indirekt dominiert. Ein großes Flugzeug wie die A320 besteht aus mehreren Millionen Teilen, davon sind 500.000 Teile Aerostructures, also für das Skelett des Flugzeuges, und die sind „mission critical“, also absolut entscheidend für die Kernfunktionen. Das ist nicht so wie ein Ikea-Tisch, den man trotzdem noch verwenden kann, obwohl eine Schraube fehlt. Weltweit sind an einem Flugzeug 10.000 Firmen involviert, oftmals sehr kleine, und wenn da einer ausfällt, kommt es zu Verspätungen in den Lieferquoten und Stückzahlen. Deshalb gibt es die Tendenz mit weniger, aber mit verlässlichen Partnern zusammenzuarbeiten, die idealerweise weltumspannend organisiert sind und auch die ganze Wertschöpfungskette selber umfassen und nicht wieder von anderen abhängig sind.

Aber ist nicht jeder abhängig von irgendwelchen Rohstoffen? – Pistauer: Wir sind einer der ganz wenigen, die eine komplette Wertschöpfungskette im Haus und zum Teil sogar noch unter einem Dach haben. Wenn auch nur kleine Bolzen fehlen, dann steht der Laden für Boeing oder Airbus, und genau darum geht’s, dass man da die Wertschöpfungskette im Griff hat. Wir reden aber auch über Teile, die bis zu 28 Meter lang sind. Von uns müssen die nicht von einem Zulieferer zum anderen dreimal um die Welt geschickt werden. Es ist ein Wahnsinnsaufwand und mit exorbitanten Qualitätskosten, Produktions- und Transportkosten verbunden. Das vermeiden wir und sind dadurch in der Lage, auch sehr gut zu verdienen.

Arndt: Wir sind für die komplette Wertschöpfungskette, aber eben auch für die Bauteile komplett verantwortlich. Wenn wir über „vertikal integriert“ reden, dann nutzen wir beispielsweise von den Maschinen, die wir bedienen, alle Chips, wir recyceln die auch, produzieren unsere eigenen Aluminiumblöcke. Früher sind Bauteile 14.000 Kilometer unterwegs gewesen, jetzt machen wir das alles unter einem Dach und sparen dem Kunden Zeit. Unsere Reputation als Mission-critical-Lieferant ist viel sichtbarer als früher. Wenn ein Kunde wie Boeing ein Problem hat, dann klopfen wir an und werden auch reingelassen.

Haben Sie dazu ein Beispiel? – Arndt: Airbus hat letztes Jahr die Guidance zweimal im Jahr verändert, dieses Jahr sind sie beim A350 schon wieder runtergegangen. Das ist für den Zulieferer herausfordernd. Wir sind sehr früh in der Lieferkette, das heißt, wir sind natürlich ein Stück weit davon abhängig, dass Airbus und Boeing das auch wahrmachen, was an die Medien und Märkte gemeldet wird. Wenn das nicht passiert, dann suchen wir das Gespräch und sagen, Leute, wir haben hier vor zwölf Monaten Material eingekauft, die Leute eingestellt, Maschinen gekauft, damit wir diesen Ramp-up mitmachen können, also brauchen wir jetzt von euch auch das Volumen.

Das funktioniert? – Arndt: Es ist nicht einfach, aber grundsätzlich findet man zusammen eine Lösung.

Keine Industrie ist so gut aufgestellt wie die Luftfahrt. Wir reden von über 13.000 Fliegern im Rückstau. Selbst wenn ab jetzt kein Flieger mehr verkauft würde, wäre die Flugindustrie trotzdem für zehn Jahre fast ausgebucht. Das ist eine komfortable Situation.
Kai Arndt
Vorstand Montana Aerospace AG

Was hat sich verändert? – Arndt: Wir haben definitiv einen viel größeren Anteil an den Fliegern, was die Arbeitspakete angeht. Wir sind sehr zuverlässig, und wir helfen natürlich den Ausrüstern, wenn andere Zulieferer nicht mehr können, um so den Kunden ein Stück weit mit abzusichern.

Wie lange ist die Vorlaufzeit? Wenn ich jetzt 500 Flugzeuge bestelle, wann bekomme ich die? – Pistauer: Die bekommen Sie frühestens Anfang der 2030er-Jahre. Man kann nicht von heute auf morgen sagen, jetzt machen wir 50 Prozent mehr.

Arndt: Keine Industrie ist so gut aufgestellt wie die Luftfahrt. Wir reden von über 13.000 Fliegern im Rückstau. Selbst wenn ab jetzt kein Flieger mehr verkauft würde, wäre die Flugindustrie trotzdem für zehn Jahre fast ausgebucht. Das ist eine komfortable Situation. Indien hat letztes Jahr 850 Flugzeuge bestellt!

Pistauer: Die größte Einzelorder aus Indien lag bei 500 Flugzeugen. Das hat es noch nie vorher gegeben. Wenn man daran denkt, dass Boeing Anfang der 60er-Jahre eine Build-Rate – also Produktionskapazität – von einem Flugzeug pro Monat hatte, dann hat sich da enorm viel in der Wertigkeit verändert.

Wie hoch ist die Produktionskapazität jetzt? – Pistauer: Na ja, das hätten wir ganz gerne höher, aber so zwischen 25 und 50 Stück würde ich sagen.

Arndt: Letztes Monat haben sie 32 A737 geliefert. Airbus hat letzte Woche Flugzeuge verkauft, die 2037 geliefert werden.

Pistauer: Ich kenne keine andere Industrie, vielleicht bis auf irgendwelche Cern-Forschungsinstitute, die auf 15 Jahre planen, die eine so langfristige Sichtweise haben. Wir wissen, dass es im Aerospace-Bereich in den nächsten plus/minus zehn Jahren keine nennenswerten Modellwechsel geben wird. Der Auftragsbestand ist jetzt so riesig, dass der selbst noch in den 2030er-Jahren produziert wird. Ein neues Flugzeug zu konstruieren dauert sieben bis acht Jahre, bis sich das dann wirklich in Auftragsbüchern niederschlägt, sind zwölf bis 15 Jahre erreicht.

Wie schwer ist es als Player, in dieser Branche das Geschäft zu erweitern? – Pistauer: Wenn wir nicht investiert hätten, könnten wir dieses Tempo nicht mitgehen. Es ist fair zu sagen, dass im Normalfall die Vorlaufzeiten zwischen zwölf Monaten und drei Jahren betragen. Diese Kapazitäten müssen wir einplanen.

Arndt: Zwölf Monate ist schon Rockstar. Wir haben es tatsächlich für den einen oder anderen Kunden geschafft, aber ich würde behaupten, dass das nicht unbedingt überall so passieren kann. Da sind wir wirklich Benchmark. Ich bin über 30 Jahre in der Industrie, war auch früher auf der anderen Seite dafür verantwortlich, Arbeitspakete zu vergeben. Ich bin mir nicht sicher, ob ich an Montana Aerospace vor vier Jahren ein ähnliches Paket vergeben hätte.

Wieso nicht? – Arndt: Weil das so komplex ist. Und wenn du da ins Stolpern kommst, zieht das den ganzen Rattenschwanz mit. Aber Montana Aerospace hat es jetzt geschafft.

Wir werden in nicht allzu ferner Zukunft sogar wieder investieren dürfen, weil wir dann unsere Kapazitätsgrenzen, die ungefähr bei 1,2 Milliarden Euro plus/minus Umsatz im Aerostructures-Bereich liegen, dann erreicht haben.
Michael Pistauer
Vorstand Montana Aerospace AG

Wer sich einen Namen gemacht hat, spielt bei den Großen mit? – Arndt: Du brauchst ein Entrepreneur-Gen und musst ein Stück weit auch verrückt genug sein und unheimlich schnell gute Ressourcen aufbauen, um zu sagen, okay, wir schaffen das. Das ist für uns sicherlich ein Wettbewerbsvorteil, ganz klar.

Wenn die Luftfahrtindustrie so gut läuft, wieso beträgt Ihre Auslastungsrate erst 70 Prozent? – Pistauer: Für den Aufbau solch großer Kapazitäten braucht es mehr Zeit. Und hätten wir jetzt 100 Prozent, würde uns Geschäft entgehen. Wir hätten keine Chance, entsprechend mehr Kapazitäten, die gefordert werden, auch mitzunehmen. Wir glauben eigentlich, dass wir in nicht allzu ferner Zukunft sogar wieder investieren dürfen, weil wir dann unsere Kapazitätsgrenzen, die ungefähr bei 1,2 Milliarden Euro plus/minus Umsatz im Aerostructures-Bereich liegen, dann erreicht haben. Und wir möchten natürlich unseren Shareholdern etwas zurückgeben.

Ist Raumfahrt für euch ein Thema? – Arndt: Ja, absolut. Die Entwicklungszyklen sind dort allerdings komplett anders als bei den Flugzeugherstellern. In der Raumfahrt ist das Tempo viel höher, und weil wir entsprechend agil sind, gewinnen wir auch Aufträge.

Wie groß ist das Geschäft? – Pistauer: Für uns ist es fast zweistellig im Prozentsatz.

Wie sieht es im europäischen Defense- oder Rüstungsbereich aus? – Pistauer: Wir verwehren uns nicht, aber wir möchten unserem Kernbereich, dem Flugzeugbau, nahe bleiben. Da tut sich momentan viel. Wir sind mit Standorten in Amerika, in Europa, aber auch Asien ganz gut vertreten, so können wir lokal beliefern.

Arndt: Wir sind da ein bisschen zurückhaltender und nicht so offensiv. Nicht überall, wo Defense draufsteht, ist auch Defense drin. Der A400m ist bis zum gewissen Teil als kommerziell zertifiziert, das heißt, wir liefern das unter kommerzieller Zertifizierung. Dass wir jetzt einfach ein neues Werk bauen, um da Fuß zu fassen, nur weil das gerade Mode ist, kann ich meinen Shareholdern nicht erklären.

Rüstung ist in Mode? – Arndt: Mode ist, Geld zu verdienen. Wir beide mussten nun drei Jahre lang Investoren erklären, wann wir denn das erste Mal Cash verdienen wollen. Jetzt wird schlagartig klar, welches Potenzial die Firma hat.

Was ist für Sie die größte Herausforderung für die nächsten Wochen und Monate? – Arndt: Die Hochlaufphase ordentlich mitzugehen und auf die geopolitischen Krisen flexibel zu reagieren.

Pistauer: Diese wirklich große Investitionsphase mit den notwendigen Finanzierungen liegt hinter uns, und wir sind jetzt dabei, die Ernte einzufahren. —

Ingrid Krawarik

Autor 1

Ingrid Krawarik

Chefredaktion

Daniel Nutz

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Daniel Nutz

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