KSV-Chef: „Das ist doch ein Kasperltheater“
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Seinen härtesten Job hatte Ricardo-Jose Vybiral bei einem Ferialpraktikum in der Supermarktkette Konsum beim Backen des Tiroler Brots und an der Semmelmaschine, erzählt er, als ihn der Börsianer in der Zentrale in Wien-Meidling besucht. Derzeit ist der CEO des Kreditschutzverbands KSV 1870 Holding AG aber auch sehr gefordert. „Wir haben eine massive Vertrauenskrise in Richtung Politik, Inflationsängste, auch die fehlende Finanzbildung ist ein Riesenthema, weil volkswirtschaftlich zu viel Geld verbrannt wird. Es schadet nicht, g’scheiter zu werden!“, erklärt Vybiral. Industrielle würden eher das Land verlassen, anstatt zu kampagnisieren. Das Hauptproblem: „Die Politik muss raus aus der Ankündigungspolitik, Stichwort Entbürokratisierung und Industriepaket.“ Was dem KSV-Chef wirklich Sorgen macht und wie wir aus dem Schlamassel rauskommen.
Österreich steuert heuer mit rund 7.000 Unternehmenspleiten auf einen Rekord zu. Bereitet Ihnen das schlaflose Nächte? – Ricardo-Jose Vybiral (lacht): Ich schlafe noch immer relativ gut. Natürlich erfüllt mich die Situation mit Sorge, aber wir sind noch immer von einem Tsunami entfernt. Fakt ist, wir werden die 7.000er-Marke vielleicht sogar überschreiten. Wir hatten 2009 in der Finanz- und Wirtschaftskrise 6.900 Insolvenzen. Den Peak mit knapp über 7.000 gab es 2005. Damals war das Wirtschaftswachstum schwach, und die KMUs hatten eine geringe Eigenkapitalausstattung. Das hat sich sogar in der Corona-Krise gebessert, die Eigenkapitalquote ist um zwei Prozentpunkte gestiegen. Die Resilienz der Unternehmen ist höher.
Österreich hat zwei Rezessionsjahre hinter sich, und heuer droht ein drittes. Auch wenn sich ein kleines Plus ausgeht – wo ist der Schub, um die Unternehmen zu entlasten? – Ich sehe gar keine Schubkraft, ich sehe eher eine Investitions- und eine Digitalisierungslethargie. Wir haben einerseits eine Vertrauenskrise in die Politik. Andererseits sind hierzulande Inflationsängste stark ausgeprägt, was sich auch im Anstieg der Sparquote von acht auf über zwölf Prozent zeigt. Bei den Unternehmen sind vor allem KMUs in der Defensive. Im strategischen Management würde man sagen, die österreichischen Unternehmen sind eher Cashcower.
Erklären Sie uns das? – Viele Unternehmen meinen, solange sie mit der bestehenden Infrastruktur und dem Personal Umsatz und Gewinne machen, ist alles gut. Aber nur wenige gehen in neue Geschäftsmodelle, starten Digitalisierungsinitiativen und denken in komplett neuen Businessmodellen. Wir haben Weltmeister in Nischen, sogenannte Hidden Champions, in Relation zur Landesgröße liegen wir da sogar im Spitzenfeld. Aber die reißen uns nur bedingt raus.
Inwieweit macht die über Jahre gewachsene Industriefeindlichkeit den Unternehmen das Leben schwer? – Apropos schlaflose Nächte: Die Industrie macht mir wirklich Sorgen. Der Standort Österreich ist zu teuer, die Energie ist zu teuer, die Lohnstückkosten zu hoch, weshalb die Produktivität schwächelt. Dazu kommt, dass die Unternehmen Personal einsparen, was die Belastung der einzelnen Mitarbeiter erhöht. Wenn Aufträge kommen, fehlen dann die Kapazitäten. Durch den Personalmangel geht generell viel Wertschöpfung verloren. Die Industrie hat zwar am BIP nur rund 25 Prozent, aber sie sichert Investitionen, die derzeit fehlen. Viele Industrielle haben das Land still verlassen, statt laut aufzuschreien. Das passiert erst in jüngster Zeit. Das ist im Handel und der Gastronomie ganz anders. Allerdings ist die Situation in ganz Europa schwierig. Man muss den Kontinent wechseln, um günstigere Rahmenbedingungen vorzufinden.
Die Probleme sind schon lange bekannt. Was muss jetzt passieren, damit der Standort wieder attraktiv wird und die Wirtschaft anspringt? Finanzminister Marterbauer ist ja kein Freund großer Förderungen. – Das Problem Energiekosten lösen wir nicht in Österreich, das ist ein europäisches Thema. Eine Förderung wäre nur ein Pflaster. Da kann die Regierung noch so viel versprechen, das wird nichts bringen. Wir brauchen günstigere Energie.
Die Regierung hat sich im Regierungsprogramm viel vorgenommen? – Wir müssen raus aus dieser Ankündigungspolitik, aus großen Versprechungen. Aus allem wird eine große Sache gemacht, die nie umgesetzt werden kann, weil sich kein Politiker drüber traut. Das erzeugt nur Misstrauen. Das beste Beispiel ist das große Industriepaket, das wieder verschoben wurde. Das zweite Beispiel ist die Entbürokratisierung. Was ist passiert? Es wurde eine Plattform eingerichtet, wo wir Bürger einmelden dürfen, wo wir Bürokratie vorfinden. Das ist doch eine Augenauswischerei, ein Kasperltheater. Stellen Sie sich vor, das passiert in einem Unternehmen. Als Chef muss ich das wissen. Beispiele für überbordende Bürokratie gibt es genug – die Bauwirtschaft mit den vielen Bewilligungen und zersplitterten Zuständigkeiten ist besonders betroffen. Was wir brauchen, sind viele kleine Schritte, die klar kommuniziert werden. So kann man Vertrauen wieder aufbauen. Ein Beispiel ist die UVP – verkürzen wir sie endlich.
Die Verdoppelung des Investitionsfreibetrags war doch eine gute Sache? – Da bin ich hin- und hergerissen. Ich bin ein Freund von Investitionsfreibeträgen, aber in der Corona-Krise wurden zum Großteil Projekte gefördert, die ohnedies in der Pipeline waren. So wurden Investitionen zumindest abgesichert. Wir müssen cleverer sein und in einer Schieflage selektiver vorgehen und die Richtigen fördern. Weg vom Gießkannenprinzip.
Wer ist da am Zug, der Bund, die Länder, die Städte? – Es braucht einen Schulterschluss von Bund und Ländern, das muss die Wirtschaft spüren. Vor allem sollten wir bei Gesetzen nicht übers Ziel schießen. Die KIM-Verordnung etwa gab es in keinem anderen europäischen Land. Da werden Probleme inszeniert, die es nicht gibt. Wenn wir ein neues Gesetz machen, sollten wir die Folgen für Unternehmen untersuchen. Ich bin nicht gegen Regularien, aber sie müssen realisierbar sein.
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Österreich ist als kleines Land doch sehr vom Weltgeschehen abhängig. – Ja, der Karren wird sich erst wieder bewegen, wenn die Weltwirtschaft anspringt. Beim Budget kommt die schwierige Zeit erst. Im ersten Budgetjahr kann man locker streichen, das ist auch in Unternehmen so. Im zweiten Jahr wird es knackiger, und im dritten Jahr geht es ins Eingemachte. Wir brauchen daher dringend Bewegung in den Nachbarmärkten, vor allem in Deutschland. Dort sind 500 Infrastrukturmilliarden geplant, aber der deutsche Dampfer ist noch nicht einmal in Bewegung. Österreichische Industrielle warten darauf, sie können aber nicht endlos warten.
Ist nicht auch ein starker Kapitalmarkt ein Garant für eine florierende Wirtschaft? – Zu 100 Prozent. Da sind wir beim Thema Finanzbildung. Man muss den Menschen klarmachen, dass das Sparbuch nur für den Notgroschen geeignet ist, aber ansonsten dort Geld verbrannt wird. ETFs und Aktien sind nichts Böses.
Zu den Insolvenzen: Welche Branchen sind am meisten betroffen? – Handel, Bau und Gastro/Beherbergung. Im Handel hat sich mit Corona das Kaufverhalten total geändert – weg vom Einzelhandel zum Onlinekauf. Gleichzeitig sind die Personal- und Lieferantenkosten dramatisch gestiegen, das konnte man nur bedingt weitergeben. Jetzt herrscht Konsumflaute, mit Ausnahme des Urlaubs, der ist heilig. Beim Bau herrscht auch ein massiver Kostendruck. Dazu kommt die Saisonalität, und es fehlen Aufträge. Vor allem der Hochbau und Nebengewerke leiden, der Tiefbau läuft immer noch gut. Die Gastronomie hatte schon immer eine niedrige Eigenkapitalausstattung. Wenn es schwierig wird, haut es die um. Außerdem trifft sie der Personalmangel besonders stark. Viele Betriebe haben deshalb die Öffnungszeiten reduziert, die Kosten bleiben aber. Die Branche wird jedoch nicht kleiner. Die klassischen Gasthäuser auf dem Land sterben, dafür entstehen andere Lokale, auch weil sich das Konsumverhalten der Jugendlichen ändert.
Steht in der Gastronomie nicht auch ein Generationswechsel an? Viele Junge wollen nicht mehr. – Das ist bei Unternehmensnachfolgen generell ein Thema.
Kann man das Insolvenzgeschehen nicht auch so sehen, dass eine natürliche Auslese stattfindet? – Natürlich. Ein Unternehmen reift irgendwann einmal ab, und es kommt eine neue Generation.
Stimmt es, dass bei Insolvenzen die Sanierungen überwiegen? – Deren Anteil liegt unter 50 Prozent. Das österreichische Insolvenzrecht ist sanierungsfreundlich – und das ist gut.
Die hohen Zinsen haben vor allem der Immobilienwirtschaft schwer zugesetzt. Jetzt sind die Zinsen niedrig, dennoch gibt es in der Immoszene viele Pleiten. Woran liegt das? – Die Baukosten sind hoch, und die Nachfrage ist schwach, denn die Konsumenten halten sich zurück.
Die Signa war und ist aber ein Sonderfall. – Ja, sowohl was die Passiva als auch die Ursachen betrifft. Die Zinsen waren nur noch das Tüpfelchen auf dem i. Das Unternehmen hat sich ja nie einem Stresstest unterzogen, was passiert, wenn die Zinsen steigen.
Der zweite große Insolvenzfall ist jener der KTM Industries. Wie kann es passieren, dass ein so renommierter Leitbetrieb in Schieflage gerät? – Meine Interpretation: Man hat vergessen, dass sich Märkte verändern. In der Corona-Krise hatten die Menschen mehr Freizeit und mehr gekauft – auch Motorräder. Der Absatz ist nach einem kurzen Rückgang wieder hinaufgeschnellt. Man hat geglaubt, es geht so weiter. Dann waren die Lager voll, der Absatz brach ein – und die Situation wurde toxisch.
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Der KSV untersucht regelmäßig die Insolvenzursachen. Wie häufig spielen dabei Managementfehler eine Rolle? – Im Vorjahr waren fast zwei Drittel der Pleiten auf Managementfehler zurückzuführen. Das betrifft fehlende Businesspläne, fehlende Marktbeobachtung, fehlendes Controlling, zu wenig Liquidität. Ein Kardinalfehler: Viele Unternehmen legen viel zu spät Rechnungen, dann fehlt die Liquidität, und ein Teufelskreis beginnt. Gerade in Zeiten wie diesen ist der Grat zwischen Investieren und einer gesunden Eigenkapitalquote schmal. Branchen wie die Gastronomie mit einer Eigenkapitalquote von 15, 16 Prozent drücken kein Jahr durch. Und ein Kredit macht auch abhängig.
Wie wird das Jahr 2026? – Politisch wird es schwieriger. Wirtschaftlich kann ich keine Prognose abgeben (denkt lange nach). Es kann nur besser werden. Allerdings ist dazu auch eine Einstellungsänderung notwendig. Wir müssen uns am Riemen reißen und nach vorn blicken. Die Unternehmen dürfen nicht auf die Regierung warten, sie müssen selbst anpacken und neue Geschäftsmöglichkeiten nützen. Da wird uns nicht allein die KI helfen, wobei ich KI als Kreativität und Innovation definiere. —
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Autor 1
Finanzjournalistin

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Chefredaktion
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