Ökonom: Geduld wichtiger als Intelligenz
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Herr Sutter, die Welt dreht sich gefühlt immer schneller. Welche Fähigkeiten müssen wir fördern, um für das Morgen gewappnet zu sein? – Matthias Sutter: Das ist eine große Frage, die man kaum abschließend beantworten kann. Mir fallen aber drei konkrete Dinge ein: Kritikfähigkeit, Bildung und Innovation. Gerade im Zeitalter der Künstlichen Intelligenz braucht es Kritikfähigkeit, um zu lernen, Informationen richtig einzuordnen: Was ist verlässlich, was nicht? Es geht nicht nur um Fake News, sondern generell darum, Inhalte zu hinterfragen, Quellen gegenzuchecken und nicht alles sofort zu glauben. Ohne kritischen Geist verlieren wir in dieser komplexen Welt schnell die Orientierung. Damit eng verbunden ist die Bildung. Sie ist die Grundlage dafür, dass wir neue Lösungen entwickeln können. Und Innovation ist nichts anderes als die Frage: Wie können wir Wohlstand sichern, ohne die Umwelt zu zerstören? Das ist eine der größten Herausforderungen unserer Zeit.
Aber gerade globalpolitisch scheint Kritikfähigkeit nicht das dominierende Prinzip zu sein. – Leider nicht. Der alte Gedanke, dass „Wandel durch Handel“ Demokratien fördern würde – mit Russland oder China –, hat sich als Illusion erwiesen. Wir sehen heute, dass wirtschaftliche Verflechtung nicht automatisch zu Frieden und Freiheit führt. Im Gegenteil: Wir müssen in Europa lernen, unsere eigene Verteidigungsfähigkeit ernst zu nehmen. Das bedeutet höhere Ausgaben fürs Militär – und damit weniger Spielräume für anderes. Umso wichtiger wird es, produktiver zu werden. Mehr Output mit gleichen Ressourcen, mehr Wertschöpfung. Und das führt uns zurück zur Innovation: Wir brauchen mehr Bildung, Orte der Begegnung von klugen Köpfen, und wir brauchen vor allem Risikokapital. In Europa fehlt es uns daran nach wie vor. Solange wir da schwächeln, dürfen wir uns nicht wundern, wenn große Innovationen meist aus den USA kommen.
Welche Rolle spielen dabei Unternehmenskultur und Führung? – Eine entscheidende. Ich erinnere mich an eine Studie in Tiroler Mittelstandsunternehmen, die gezeigt hat: Firmen, die von Menschen geführt werden, die langfristige Ziele verfolgen und kurzfristigen Versuchungen widerstehen können, sind innovativer und wirtschaftlich erfolgreicher. Diese Führungskräfte haben Geduld und Ausdauer – und genau das macht den Unterschied.
Sie haben ein ganzes Buch über die Geduld geschrieben. Erklären Sie uns doch bitte Ihre Hauptthese. – Empirisch zeigt sich: Geduld ist genauso wichtig wie Intelligenz, wenn es um beruflichen und unternehmerischen Erfolg geht. Wer langfristig denkt, mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Entscheidungen durchspricht und sie konsequent umsetzt, bringt bessere Ergebnisse hervor als jemand, der nur auf die nächste Quartalsbilanz schaut.
Kann man Geduld denn lernen? – Geduld ist lernbar, und zwar besser, je früher man damit beginnt. Wir forschen dazu mit Kindern in Bangladesch, aber es gibt auch Programme in Europa. Ein Ansatz ist die sogenannte Ampelmethode: erst einmal stoppen, dann die Optionen prüfen, Vor- und Nachteile abwägen – und erst danach handeln und die Entscheidung auch wirklich durchziehen. Das klingt banal, aber es hilft enorm, voreilige Entscheidungen zu vermeiden. Geduld heißt nicht, dass man nie spontan sein darf. Natürlich braucht es auch kreative Momente. Aber entscheidend ist, die Ideen bis zum Ende durchzudenken und durchzuziehen. Das unterscheidet oft erfolgreiche Führungskräfte von weniger erfolgreichen.
Lassen Sie uns über Nachhaltigkeit sprechen. Anreize, also Nudging, sollen zu Verhaltensänderungen der Menschen führen. Reicht das? – Nein, Verhaltensänderungen allein werden den Planeten nicht retten. Nudging – also kleine Anstöße, die das Verhalten in eine bestimmte Richtung lenken – funktioniert durchaus. Wenn Menschen etwa auf ihrer Stromrechnung einen Smiley bekommen, weil sie weniger verbraucht haben als der Durchschnitt, sparen sie vielleicht ein oder zwei Prozent Energie. Aber das reicht nicht. Wir brauchen technologische Lösungen. Ein Beispiel ist die Kernfusion. Noch vor einigen Jahren hieß es immer „in 50 Jahren“. Heute sprechen Forscher davon, dass man in 15 Jahren so weit sein könnte, dass mehr Energie herauskommt, als hineingesteckt wird. Das wäre ein Quantensprung. Dafür brauchen wir massive Investitionen, Forscher, Ingenieure, Programmierer. Leute, die sich auf die Straße kleben, sind da weniger hilfreich.
Das klingt polemisch. – Was ich meine: Nur mit vollem Fokus auf Innovation und Technologie werden wir die Klimafrage lösen. Gleichzeitig bleibt Fairness wichtig: Jeder sollte einen Beitrag leisten. Denn wenn der Eindruck entsteht, dass sich einige herausnehmen, nichts zu tun oder sogar von ihrem Fehlverhalten profitieren, bricht der gesellschaftliche Konsens auseinander.
Forschungen zeigen: Mehr Frauen in Führungspositionen wirken sich positiv aus. Wieso sind Frauen noch nicht dort? – Die Forschung zeigt: Frauen mögen Wettbewerb im Schnitt weniger als Männer. Männer überschätzen sich systematisch eher und gehen öfter in Konkurrenzsituationen – manchmal auch, wenn sie es gar nicht sollten. Das führt dazu, dass Frauen sich seltener für Führungspositionen bewerben, selbst wenn sie genauso qualifiziert sind. Wir haben in Experimenten gezeigt: Wenn klar ist, dass in einem Auswahlverfahren mindestens eine Frau gewinnen wird, sind Frauen deutlich motivierter teilzunehmen. Solche Regelungen helfen, dass mehr talentierte Frauen überhaupt ins Rennen gehen. Es geht nicht darum, Männer auszuschließen, sondern darum, Potenziale zu heben, die sonst verlorengingen. Für Unternehmen lohnt es sich, hier aktiv zu werden und gezielt auf geeignete Kandidatinnen zuzugehen.
Sie haben ursprünglich Theologie studiert. Es scheint, dass derzeit wieder Mythen und Narrative an Bedeutung gewinnen. Teilen Sie diesen Eindruck – und was bedeutet das für unser Handeln? – Es gibt in der Ökonomie tatsächlich eine wachsende Forschung zu Narrativen. Geschichten helfen, komplexe Zusammenhänge verständlich zu machen und sich Kausalitäten besser zu merken. Das ist übrigens etwas sehr Theologisches: Eine gute Predigt beginnt mit einem Bild, legt es aus – und kehrt am Ende wieder zu diesem Bild zurück. Genauso funktionieren Narrative in der Wirtschaftsforschung. Sie können das Verständnis von Zusammenhängen erleichtern. Aber: Geschichten sind immer auch selektiv. Das macht sie anfällig für Vereinfachungen oder sogenannte alternative Fakten. Narrative können Orientierung geben – oder in die Irre führen. Entscheidend ist, dass wir lernen, mit ihnen umzugehen: Sie kritisch zu hinterfragen, sie auf Fakten zu prüfen. Insofern schließt sich der Kreis: Kritikfähigkeit ist auch hier wieder zentral.
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