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Banking: Angriff aus der App

Sie kommen in Sneakers statt im Anzug, kommunizieren über Apps und wollen die Finanzwelt umkrempeln: Neobroker wie Trade Republic mischen Europas Bankenlandschaft auf. Doch sind sie nur Hype – oder echte Konkurrenz für Filiale, Kundenberater und Geschäftsmodell?

Veröffentlicht

09.07.2025

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6 min
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Alles aus einer App. Und dazu günstige Konditionen und super Zinsen. Das ist das Angebot der Neobanken - nicht nur Junge sollen damit angesprochen werden.

Er ist 29 Jahre alt, trägt Rolli, Turnschuhe und ein sympathisches Lächeln im Gesicht – und er will die Bankenbranche aufmischen. Julian Collin ist General Manager für internationale Märkte beim deutschen Neobroker Trade Republic und dort verantwortlich für die Fortsetzung des rapiden Wachstumskurses: Acht Millionen Kunden zählt Trade Republic europaweit, in Österreich wurde kürzlich rasant die 100.000er-Marke durchbrochen. Mit seinem Team wolle er so viele weitere Kunden wie möglich gewinnen, erklärt Collin bei einem Besuch in der Börsianer-Redaktion in Wien.

Julian Collin will mit Trade Republic das Banking aufmischen. Statt im Anzug und Krawatte in Sneakers und Rolli.

Onlinebroker wie Trade Republic, Flatex oder Scalable Capital werden immer stärker zu Neobanken: Klassische Kundenbetreuer gibt es keine. Dafür ein günstiges und „steuereinfaches“ Wertpapiergeschäft via App, neuerdings auch kostenlose Girokonten, Cashback bei Kartenzahlungen, oder – wie Scalable Capital und Trade Republic offensiv bewerben – den vollen EZB-Einlagenzins von derzeit 2,0 Prozent auf täglich fällige Einlagen.

Angriff aufs Kerngeschäft

„Wir bieten Produkte, die für die breite Masse relevant sind, holen damit Menschen an den Kapitalmarkt und machen sie zu unseren Kunden“, erklärt Collin, warum Trade Republic nun auch auf Bankprodukte setzt. Für die klassischen Banken ist das freilich unliebsame Konkurrenz für die Haupteinnahmequelle. Ein Blick in die von der Österreichischen Nationalbank aggregierten Bilanzen zeigt: 57 Prozent ihrer Betriebserträge erwirtschafteten die österreichischen Banken im ersten Quartal 2025 über den Zinsertrag. Das waren 3,6 Milliarden Euro von insgesamt 6,3 Milliarden Euro.

Wir ­holen ­Menschen mit einfachen, ­günstigen ­Produkten an den Kapitalmarkt.
Julian Collin
General Manager für internationale Märkte bei Trade Republic

Besonders jüngere Kundinnen und Kunden spricht das Angebot der Neobanken an, wie eine im April 2025 präsentierte Umfrage vom österreichischen Bankenverband und Boston Consulting zeigt. Neobanken werden demnach bei den 15- bis 29-Jährigen von 21 Prozent aller Befragten genutzt, sieben Prozent haben sogar ihr Hauptkonto bei einer solchen. Das auschlaggebende Argument: geringe Kosten oder Gebühren und gute Zinsen.

Doch wie verdienen die Neobanken ihr Geld? Im Grund ruht das Geschäftsmodell der Fintechs auf drei Säulen: Erstens fallen pro Wertpapier-Trade Gebühren an. Zweitens erhalten sie von Emittenten wie Blackrock oder Van­guard Listungsgebühren. Drittens existieren – in manchen Ländern – Rückvergütungen („Payment for Order Flow“) für Transaktionen. Das Kalkül: Wenn der EZB-Zinssatz weiter sinkt, wandert auch das Geld der Kunden vom Sparkonto ins Wertpapierdepot. Damit sich dieses Modell rechnet, braucht es zudem eine effiziente, KI-basierte Infrastruktur, die im Wesentlichen über eine App läuft, eine klare Fokussierung auf einfache Dienstleistungen, sehr schlanke Strukturen – bei Trade Repu­blic kommen beispielsweise nur 600 Mitarbeiter auf acht Millionen Kunden – und vor allem Skaleneffekte.

Kundenwachstum bei quasi null Grenzkosten: Das ist der Traum der Fintech-Pioniere. Aber wie sicher sind die neuen Player? Und wie reagieren eta­blierte Banken?

Recht und Regulierung

Die Digitalisierung stellt Aufsichtsbehörden (siehe Kommentar) regelmäßig vor neue Herausforderungen. Exorbitantes Wachstum bei unzureichenden Strukturen war in der Vergangenheit ein Problem: Wegen Mängeln bei der Geldwäscheprävention schränkte die deutsche Bafin vor einigen Jahren sogar das Neukundengeschäft der Neobank N26 ein. Auch bei Trade Republic kam es im Börsencrash des Frühjahrs zu Ausfällen – die App war überlastet. Nach dem Börsianer vorliegende Informationen laufen dazu aktuell jedoch keine Schadenersatzforderungen.

Wie streng sind die Regeln für Neobanken? Diese Frage diskutierte eine Expertinnenrunde beim vergangenen Börsianer-Salon in der Wiener Innenstadt. Grundsätzlich gelten für Neobanken dieselben Regelungen wie für klassische Universalbanken, erklärt Carmen Redmann-Wippel, Bankenexpertin und Partnerin bei Taylor Wessing. Die Herausforderungen wachsen allerdings – etwa durch den EU AI Act, der den Umgang mit sensiblen Daten neu definiert. „Das Vertrauen der Kundinnen und Kunden im Umgang mit diesen Daten ist essenziell“, sagt die Anwältin.

Enver Sirucic, CFO und Deputy CEO der Bawag Group AG stellt sich auf die neue Konkurrenz ein.

Einige Kilometer entfernt, beim Bawag Investor Day, trifft der Börsianer Enver Sirucic, Finanzvorstand der Bawag Group AG. Wie steht er zur wachsenden digitalen Konkurrenz? „Ich sehe das sportlich. Wettbewerb und Innovation sind immer gut – vor allem, wenn sie klassische Banken dazu anregen, neue Wege zu gehen“, sagt Sirucic. Klassische Banken müssten vor allem ihre Stärke in der persönlichen Betreuung betonen – und technologisch aufholen. Sirucic zeigt auf seinem Smartphone stolz die neue App der hauseigenen Easybank, bei der das Brokerage überarbeitet wurde – ein Projekt, das durch den Druck der Neobroker entstand. Doch wo geht die Entwicklung hin?

Digitalisierung am Kunden vorbei

Die Ex-Bankerin Sandra Golser kennt Universalbanken von innen – von der österreichischen Raiffeisenwelt bis zu Filialnetzen auf dem Balkan und in Russland. Heute berät sie als Managing Director bei Accenture Österreich große Institute dabei, ihr Geschäftsmodell im Smartphone-Zeitalter neu zu denken. Ihr Credo: Wer Prozesse nicht radikal automatisiert, smart macht und personalisiert, verschwindet im App-Store-Regal.

Neobanken entwickeln Systeme auf der sprichwörtlichen grünen Wiese. Ein Konto ist dort in wenigen Minuten eröffnet, Personalisierung und Kundenorientierung werden in jedem Schritt des Prozesses gezeigt. Universalbanken brauchen dagegen oft länger, müssen sich mit gewachsenen IT-Strukturen plagen und manuelle Compliance-Checks und Medienbrüche überwinden. Für Banken heißt das: Marktanteile wandern dorthin, wo es friktionsfreie und personalisierte Angebote gibt. Auch wenn sich Neobanken aktuell auf einfache Produkte konzentrieren, tut das deren Wachstum keinen Abbruch.

"Banking ­verschmilzt mit dem Alltag, ­alles in der App", meint Sandra Golser, Managing Director bei Accenture Österreich.

Den digitalen Wandel hätten klassische Banken nicht verschlafen, meint Golser – aber vieles gehe dort einfach langsamer. Kunden würden die hohen Digitalinvestitionen nämlich kaum wahrnehmen, zu oft sind Produkte digitalisiert, aber in ihrem Kern und ihrer Darstellung „traditionell“ geblieben.

Was tun? „Prozesse müssen durch KI automatisiert werden – beginnend im Backoffice“, meint Golser. Eine Kontoeröffnung müsse binnen Minuten möglich sein – mit cleverer Auslegung der Regulierung. Die gewonnenen Effizienzgewinne? In die Personalisierung der Kundenbeziehung investieren“, sagt sie. Das könne über ausgeklügeltes Datentracking und KI-basierte Interaktionen – etwa über Chatbots – passieren.

Zwischen Innovation und Nische

Doch nicht alle Banken können mit der Innovationsgeschwindigkeit mithalten. Gerade kleinere Regionalbanken in Österreich tun sich schwer. Deren Chance: die Nische. Persönliche Betreuung statt neuester App. Das deckt sich mit der Global Banking Consumer Study von Accenture: Für 65 Prozent von 49.300 befragten Bankkundinnen und -kunden aus 39 Ländern stehen Filialen weiterhin für Stabilität.

In der Zentrale der Raiffeisenlandesbank NÖ-Wien AG am Wiener Donaukanal sitzt Generaldirektor Michael Höllerer. Er hat einen Mittelweg gefunden. Die Bank kooperiert als erstes Institut im deutschsprachigen Raum mit dem auf Kryptowährungen spezialisierten Neobroker Bitpanda. „Wir richten uns nach den Bedürfnissen der Kunden – wir müssen nicht alles selbst entwickeln“, erklärt er. Die Technologieplattform Bitpanda Technology Solutions verbindet digitale Anlageprodukte wie Krypto, Aktien oder ETFs mit dem Raiffeisen-Onlinebanking Elba, das über zwei Millionen Nutzer zählt. Bitpanda hat diese Partnerschaften bereits auf zehn In­stitute erweitert, und weitere Koopera­tionen sind in Mittel- und Südosteuropa sowie in den Vereinigten Arabischen Emiraten in der Pipeline.

Best Practice
Digitale Vorreiter

Die Apps machen’s! Dabei bieten nicht nur Neobanken gute Lösungen, sondern auch alteingesessene Player. Zentral ist in diesem Zusammenhang die Verknüpfung mit Schnittstellen zur European Business Wallet (EUBW) – einer digitalen Identitäts- und Vertrauensinfrastruktur für Unternehmen, die EU-weit bereits 2026 ausgerollt werden soll. Für Private gibt es mit dem EUDI-Wallet eine vergleichbare Lösung, bei der die bereits eingeführte ID Austria die Grundlage der nationalen Umsetzung bildet. Die rumänische Großbank Banca Transylvania ist dabei ein Pionier. Nicht von ungefähr: Banken in Osteuropa zeigen oftmals eine große Innovationsdynamik in diesem Bereich. Die österreichische Erste Group nutzte ebenso wertvolle Erkenntnisse von ihren Ost-Tochterbanken für die Weiterentwicklung der George-Onlinebanking-App. Ebenso vorn dabei: Spanische Banken wie Santander oder BBVA zeigen sich als digitale Vorreiter.

Wohin rollt der Zug?

Führen Kooperationen zum Ziel? Werden etablierte Banken zurückschlagen – oder graben die Neobanken ihnen das Wasser ab? Die Antwort ist nicht eindeutig. Bislang konnten die klassischen Banken den Angriff der digitalen Konkurrenz durch entsprechende Anpassung relativ gut abwehren. Der Innovationsdruck ist dennoch enorm. Unterschiedliche Studien zeigen: Die App wird für die Mehrheit der Kunden zum zentralen Kommunikationskanal mit der Bank – künftig personalisiert durch KI-Assistenten.

Es gibt einige Anzeichen, dass die Big-Tech-Konzerne Ambitionen im Banking entwickeln.
Ulrich Hoyer
Experte für Retailbanking bei ZEB

Für Ulrich Hoyer, Retailbanking-Experte und Partner beim Beratungs­unternehmen ZEB, könnten bald schon neue Player das Spielfeld betreten: „Es gibt einige Anzeichen, dass die Big-Tech-Konzerne Ambitionen im Banking entwickeln, die über Zahlungsverkehr hinausgehen“, sagt er im Gespräch mit dem Börsianer. Werden also bald Google, Apple oder Microsoft klassische Bankgeschäfte anbieten? Kommt es zur globalen Konzentration auf wenige, mächtige Anbieter?

Noch scheint die Skepsis groß, seine Finanzen US-Konzernen anzuvertrauen. Schließlich wissen sie ohnehin schon sehr viel über uns.

Daniel Nutz

Autor

Daniel Nutz

Chefredaktion

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