Gastkommentar

Andreas Treichl: Europa muss in seine Souveränität investieren

EU-Kommission und Nationalstaaten arbeiten nicht zusammen. Deshalb fällt Europa konsequent zurück. Das beste Instrument für ein souveränes Europa ist ein gemeinsamer Kapitalmarkt, der privates Kapital aktiviert. Dänemark und die Niederlande zeigen vor, wie das mit guten Pensionskassen geht.

Veröffentlicht

13.10.2025

Lesezeit

2 min
Teilen auf

Vor knapp einem Jahr hat Mario Draghi einen sehr ehrgeizigen Plan für die Europäische ­Union vorgelegt: Mit 383 Vorschlägen wollte der ehemalige Präsident der Europäischen Zentralbank die EU wettbewerbsfähiger machen. Er warnte, dass wir zurückfallen, wenn wir so weitermachen wie bisher. Doch wir haben weitergemacht wie bisher. Und wir sind konsequent weiter zurückgefallen.

Es liegt nicht an der neuen Kommission, dass die EU ihren Binnenmarkt nicht fertig baut, obwohl sein aktueller Zustand die euro­päische Wirtschaft nachweislich bremst. Sie beauftragt italienische Ministerpräsidenten und legt viele gute Pläne vor. Es liegt auch nicht an den Nationalstaaten, die unterdessen mit sehr vielen Problemen gleichzeitig zu kämpfen haben – von der Inflation über Energie- und Sicherheitsfragen bis hin zu Budgetproblemen.

Warum Europa nicht vorankommt

Dass nichts weitergeht, liegt vor allem daran, dass die Nationalstaaten und die EU-Kommission nicht wirklich zusammenarbeiten. Nationale Interessen wiegen fast immer mehr als das, was für ganz Europa das Beste wäre.

Vielleicht schafft es Donald Trump. Er hat auch unter Europas Politikern noch seine Fans.
Andreas Treichl

Ich bin also nicht sonderlich überrascht, dass Draghis Plan nicht sofort zu einem Reformschub geführt hat. Vielleicht aber schafft es Donald Trump. Er hat auch unter Europas Politikern noch seine Fans, aber sie werden etwa mit Blick auf die Schweiz und ihren US-Zöllen bemerken: 27 Zwerge können sich gemeinsam besser gegen Trumps Willkür wehren als jeder für sich allein.

Kapitalmarkt als Schlüssel zur europäischen Souveränität

Damit Europa sein einzigartiges Modell von persönlicher Freiheit, Wohlstand, Sicherheit und sozialer Solidarität in die Zukunft führen kann, muss es zusammenhalten und in seine Souveränität investieren: in seine Sicherheit, in die Transformation seines Energiesystems und in seine Wettbewerbsfähigkeit.

Das beste Instrument dafür ist ein gemeinsamer Kapitalmarkt, der privates Kapital aktiviert. In europäischen Bankkonten, Stiftungen und Unternehmen ruhen hunderte Milliarden Euro ungenutzt, weil sie gespart und verwaltet, aber nicht investiert werden. Das führt zu einem Wohlstandsverlust und limitiert gleichzeitig die Wachstumschancen.

Betriebliche Altersvorsorge als unterschätzter Hebel

Ein unterschätzter Hebel dafür, sowohl den Wohlstand zu sichern als auch einen europäischen Kapitalmarkt aufzubauen, ist die betriebliche Altersvorsorge. In Ländern wie Dänemark oder den Niederlanden zeigen gute Pensionskassen vor, wie sie ein sicheres Vermögen für ihre Beitragszahler aufbauen.

In Österreich hat aktuell nur ein Viertel der Arbeitnehmer Anspruch auf eine Firmenpension. Dass die aktuelle Regierung das ändern will, ist sehr zu begrüßen. Durch eine starke zweite Säule für alle sichern wir nicht nur die Pensionen ab, sondern lernen vielleicht auch, dass Investieren nicht automatisch Spekulieren bedeutet. Dann wächst auch das Vertrauen in den Kapitalmarkt, den Europa so dringend bräuchte.

Die Voraussetzung dafür aber ist, dass unsere Demokratien stark und stabil sind. Autokraten scheren sich in der Regel nicht viel darum, wem das von Pensionskassen oder in Nationalfonds aufgebaute Vermögen zusteht. Damit Europa nicht weiter zurückfällt, braucht es einen gemeinsamen Kapitalmarkt und stabile Demokratien, die bereit sind, endlich wirklich zusammenzuarbeiten. Mario Draghi hat recht: Wir können nicht weitermachen wie bisher.

Andreas Treichl

Autor

Andreas Treichl

Vorsitzender des Aufsichtsrats Erste Stiftung

Teilen auf