Wolfgang Anzengruber: Der Matchmaker
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Seit fünf Jahren offiziell in Pension, ist Wolfgang Anzengruber, ehemals Verbund-CEO, derzeit Globetrotter. Um genau zu sein, führen ihn seine Reisen quer durch Europa und als Koordinator für den Wiederaufbau auch des Öfteren in die Ukraine. Dort versucht er nicht nur auf höherer Ebene Brücken zu bauen, sondern ist auch Matchmaker zwischen Österreichs Unternehmen und ukrainischen Auftraggebern. Und der Kuchen für potenzielle Geschäfte ist riesig. Die Chancen auch, sofern Wolfgang Anzengruber die Entscheidungsträger ausfindig machen kann. Das ist nicht immer so einfach. Die ganze Welt ist in der Ukraine, sagt er. Wie er sich in dem Gerangel um Aufträge zurechtfindet, wer das eigentlich zahlt und warum es bei der Finanzierung jetzt mehr Dynamik braucht, erklärt er im Gespräch mit der Börsianer-Chefredaktion, die ihn im Außenministerium am Minoritenplatz in Wien trifft.
Vom Verbund-CEO zum Koordinator für den Ukraine-Wiederaufbau: Das ist ein ordentlicher Quereinstieg. Was hat Sie daran gereizt? – Wolfgang Anzengruber: Das Thema Wiederaufbau. Wir haben Wirtschaftsbeziehungen zur Ukraine und sind der sechstgrößte Direktinvestor. Es ist naheliegend, dass das Land über kurz oder lang der Europäischen Union näherkommen wird. Wir können voneinander profitieren. Diese Pioniertätigkeit gibt mir persönlich sehr viel Energie.
Das letzte vergleichbare Projekt war der Marshallplan. – Genau. Aber da war ich noch nicht dabei (lacht).
Was bringen Sie für diese Aufgabe mit? – Mir hilft auf der einen Seite, dass ich die österreichische Wirtschaft und viele Proponenten gut kenne. Ich weiß, wie die Unternehmen ticken, was ihre Bedarfshaltung ist, was sie machen wollen und wie sie vorgehen. Ich bin kein Ukraine-Spezialist. In dem Bereich hilft mir sehr stark das Außenamt mit der Diplomatie. Aber auch die Wirtschaftskammer mit dem Wirtschaftsdelegierten vor Ort, unsere Botschaft und auch die Honorarkonsuln. Alle tragen dazu bei, die ukrainische Seite kennenzulernen. Es gilt herauszufinden, ob die Entscheidungen in der Zentralregierung getroffen werden oder in den Regionen und wer wirklich die Entscheidungsträger sind. Das ist nicht immer transparent.

Was nehmen Sie von Ihren Besuchen in der Ukraine als Koordinator mit? – Es herrscht Aufbruchsstimmung. Die wird hoffentlich bald von einem Frieden gekrönt. Das wäre das Wichtigste. Die Menschen dort haben eine unglaubliche Dynamik. Wir können uns das fast nicht vorstellen. Die Resilienz, mit solchen Schwierigkeiten umzugehen, das ist schon großartig. Die Ukraine ist auch in der Digitalisierung sehr weit.
Österreich ist nicht das einzige Land, das sich um Geschäfte in der Ukraine bemüht. Wie stark ist die Konkurrenz? – Die ganze Welt tummelt sich in der Ukraine. Wie das abläuft, hat sich im Juli bei der Wiederaufbaukonferenz in Rom, bei der ich auch dabei war, gezeigt. Es waren rund 7.000 Leute dort. Die EU war dort, die G7-Staaten, dazu auch Länder wie die Schweiz oder Norwegen.
Das Gerangel um Aufträge soll groß sein. – Es gibt einen Wettbewerb der Staaten, es gibt aber auch einen Wettbewerb um die Bedingungen dahinter. Auch auf ukrainischer Seite. Da geht es ums Matchmaking und um die Frage, was der Bedarf ist, was wir können und wie wir unsere Kompetenz einsetzen.
Welche Unternehmen sind dort aktiv? – Die Inneo ist dabei, Palfinger, Waagner-Biro, aus der Versicherungswirtschaft die Wiener Städtische und Uniqa. Dass Banken wie Raiffeisen Bank International aktiv sind, ist auch bekannt, genauso wie die Agrana. Aktuell sind rund 1.000 österreichische Unternehmen in der Ukraine aktiv, 200 davon mit eigenen Niederlassungen, und beschäftigen bereits jetzt 25.000 ukrainische Mitarbeiter. Da sind wir nicht so schlecht. Frankreich beschäftigt, im Vergleich dazu, zum Beispiel 30.000 Ukrainer.
Wie funktioniert das? Geht man zu Ihnen und nimmt an einer Casting-Show teil? – Nein. Aber ich kann versuchen, den Bedarf, den ich von der ukrainischen Seite erfahre, darzustellen. Wir haben fünf Unternehmenscluster aufgestellt. Einer davon ist der Energiecluster, ein Riesenthema, weil die Infrastruktur täglich attackiert wird. Aber es geht jetzt nicht nur darum, das, was kaputt ist, wieder herzurichten. Sondern es geht auch um Investitionen in die Zukunft. Da müssen Lösungen gefunden werden. Das Stromnetz der Ukraine soll Ende 2026 an das europäische Netz angeschlossen sein. Das bedeutet für uns viel. Ein zweiter Cluster, an dem wir arbeiten, ist der gesamte Infrastrukturbereich. Also Bahn, Straße, Schiff. Die Haupttransversalen sollen auf die europäische Spurweite umgestellt werden.
Das ist vernünftig. – Da gibt es zum Beispiel eine Voestalpine mit Eisenbahnschienen, Weichen und anderen Produkten. Aber auch Signaltechnik und Kommunikationstechnik sind wichtig. Plasser & Theurer offeriert Stopfmaschinen für die Schienenverlegung. Auch die Fluglinie Austrian Airlines hat Interesse, wieder in die Ukraine zu fliegen und Flugrechte zu bekommen. Es geht darum, interessierte Unternehmen zusammenzubringen und zu ermitteln, wie Projekte definiert sind und welchen Beitrag österreichische Unternehmen leisten können. Der dritte Cluster ist die Bauwirtschaft. Es geht um Hochbau, um Tiefbau, um Brückenbau.
Ist es sinnvoll, etwas aufzubauen, was vielleicht tags darauf wieder zerbombt wird? – In der Ukraine ist die Binnenflucht groß. Viele flüchten vom Osten in den Westen des Landes. Der Westen muss also irgendwie schauen, wie er Wohnraum, Spitäler, Schulen, oder Schutzräume zur Verfügung stellen kann. Der vierte Cluster betrifft die Land- und Forstwirtschaft. Das ist ein großes Thema. Es geht um landwirtschaftliche Technik, um Forstwirtschaft oder um Holz. Die Ukraine ist sehr stark bei der landwirtschaftlichen Rohstoffproduktion, aber nicht so stark in der Lebensmittelproduktion. Da sind wir viel stärker. In der Forstwirtschaft können wir für Ausbildung und Know-how-Transfer sorgen. Wir haben ausgezeichnete Fachschulen im Bereich Landwirtschaft. Der fünfte Cluster ist die gesamte Finanz- und Versicherungswirtschaft. Unternehmen, die aus Österreich tätig werden, brauchen vor Ort Finanzinstitute und Versicherungsträger zur Abwicklung der Geschäfte. Da sind Raiffeisen Bank International, Wiener Städtische und Uniqa bereits tätig. Aber das ist aus meiner Sicht nur die Vorhut der Wirtschaft.
Gibt es je nach Region Prioritätenlisten? – Tendenziell findet zuerst mehr im Westen der Ukraine statt als im Osten. Es werden keine Almosengeschäfte getätigt. Es geht um Business. Unternehmen brauchen Finanzierungen. Aber sie brauchen auch die Garantien dahinter, weil das Risiko nach wie vor da ist. Der Risikozuschlag ist in der Ukraine hoch. Deshalb sind Institutionen nötig, die bereit sind, einen Teil des Risikos zu übernehmen.
Wie wichtig ist der humanitäre Bereich? – Das ist die Eintrittskarte. Ohne humanitäre Hilfe würde man an gewissen Plattformen gar nicht teilnehmen dürfen. Wichtig sind auch Städte-, Gemeinde- oder Regionalpartnerschaften. Das Land Oberösterreich ist kürzlich eine Partnerschaft mit der Region Odessa eingegangen. Da kommt es zu bilateralen Verbindungen. Das zielt oft auf einen kleineren Bereich ab. Es geht um unterschiedliche Unterstützungen bis hin zu Feuerwehrautos. Das hilft auch uns. Das bereitet den Boden auf und stärkt die Vertrauensbasis. Zusätzlich wird ein Gesundheits-Cluster wichtig. Es geht dabei um Rehabilitation, um physisch und psychisch geschädigte Menschen. Da muss viel geschehen.
Gehen Sie auch aktiv auf Unternehmen zu, oder kommen die zu Ihnen? – Sowohl als auch. Viele kommen aus Interesse zu uns. Es entsteht auch etwas aus den Besuchen vor Ort. Der Energieminister, der Wirtschaftsminister oder andere Experten formulieren, was gebraucht wird. Das gilt auch für Gouverneure aus den Regionen. Ich versuche, die Beteiligten zusammenzubringen und ein Geschäft zu ermöglichen, ohne direkt daran teilzunehmen.
Wie hoch sind die Kosten für den gesamten Wiederaufbau? – Die Weltbank rechnet für die nächsten zehn Jahre mit 550 bis 600 Milliarden US-Dollar für den Wiederaufbau in den derzeit nicht besetzten Gebieten der Ukraine. Leider steigt der Geldbedarf täglich an. Die Institutionen versuchen mit Instrumenten, die Privatinvestitionen anzuregen, weil der öffentliche Sektor alleine das nicht stemmen können.
Wie wird das finanziert? – Durch die Unternehmen, aber sie bekommen Garantien, etwa durch die OeKB. Für Investitionen in Projekte sind Finanzierungen nötig. Aber in einem Kriegsland ist das Risiko natürlich ungleich höher. Wir brauchen daher große Finanzierungstöpfe, um das hinzubringen, und die Sicherheiten dahinter. Das ist der wesentliche Aspekt.
Hakt es denn daran? – An dem arbeiten wir.
Das ist sehr diplomatisch ausgedrückt. – Es gibt große Töpfe. Aber eine der wesentlichen Tätigkeiten besteht darin zu versuchen, den Unternehmen zu helfen, an diese Töpfe heranzukommen. Das ist oft komplex. Wenn man versucht, eine Finanzierung aufzutreiben, sieht man, wie mühsam das ist. Gerade für den österreichischen Mittelstand, der hat oft nicht die nötigen Zugänge.
Wer sind die wichtigsten Adressaten? – Adressaten sind etwa die EIB, EBRD, IFC, die Weltbank oder die Europäische Kommission. Es gibt große Fördertöpfe. Wir kommen für unterschiedliche Themen auf 50 bis 100 Milliarden Euro. Das wird in Summe nicht reichen. Aber für den Start ist es gut. Wir sind jetzt dabei, Institutionen wie der EIB, der EBRD und anderen mit konkreten Themenbereichen zu begegnen und nach Lösungen zu fragen. Wir brauchen keine schönen Präsentationen, wir wollen es wirklich wissen. Es geht darum, Schwierigkeiten, Probleme und Hürden, denen Unternehmen ausgesetzt sind, dort zu adressieren, wo sie gelöst werden können. Ich selbst kann sie nicht lösen.

Wie geht Österreich damit um? – Österreich hat auf OeKB-Ebene grundsätzlich eine 500-Millionen-Fazilität für den öffentlichen Bereich. Dort wurde erst kürzlich das Deckungsvolumen von 90 auf 95 Prozent erhöht. Früher war bei Aufträgen seitens der Ukraine immer eine Staatsgarantie nötig. Nun steht die Ukraine vor der Herausforderung, Staatsgarantien zu geben für etwas, das vielleicht wieder zerstört wird. Auch das wurde angepasst. Jetzt kann man sich mit einer Garantie einer ukrainischen Bank behelfen. Aber es gibt in Europa und in anderen Ländern unterschiedliche Zugänge. Wir sind bemüht, in diesem Bereich Wettbewerbsnachteile hintanzuhalten.
Gibt es einen Zeitplan? – Der Wiederaufbau ist kein Projekt für die nächsten fünf Jahre. Das ist ein Generationenprojekt. Wir befinden uns derzeit mit zwei Institutionen in der Vorbereitungsphase. Dabei handelt es sich um den IFC und die EIB. Wir werden in den nächsten Wochen in London und in Brüssel mit der EBRD, der Weltbank und der EU-Kommission reden. Ich habe dabei die Rolle des Katalysators. Das Ziel ist, dass österreichische Unternehmen wirklich am Wiederaufbau teilnehmen können. Es geht darum, Brückenbauer für unsere Unternehmen zu sein. Die Unternehmen wollen zwar, sagen aber: Wie tue ich jetzt? Da gibt es Fälle bei Unternehmen, die in Österreich ein Zahlungsziel von zwei Monaten haben. Bei Geschäften mit der Ukraine sind es aber zwei Jahre. Das muss finanziert werden. Wichtig ist, dass die Institutionen sehr kooperativ sind. Sie nehmen sich Zeit, sie setzen sich dazu, und wir versuchen Lösungen zu finden.

Ein Friede ist nach wie vor nicht greifbar, es gibt ein Gerangel um Aufträge, die Finanzierungen sind aber ungewiss. Wieso sind Sie so dahinter, dass jetzt etwas passiert? – Jetzt werden die Regeln geschrieben, jetzt werden die Claims besetzt. Zu warten, bis Friede herrscht, ist falsch. Dann wären wir zu spät dran. Und die anderen sind schon alle dort. Darum geht es. Es gibt die Ukraine Donor Plattform (UDP), bei der die wichtigsten Akteure beieinandersitzen. Dort werden im Wesentlichen die Regeln des Aufbaus geschrieben. Es geht um die Spezifikationen für Ausschreibungen. Projekte werden nicht unter der Hand vergeben. Deshalb müssen wir versuchen, unsere Interessen einzubringen, damit auch unsere Aspekte und unsere Industrie bei den Ausschreibungen eine Rolle spielen. Durch die Bemühungen aller Beteiligten ist es gelungen, dass Österreich vor wenigen Tagen der Beobachterstatus zuerkannt worden ist.
Warum ist diese Plattform so wichtig? – Die UDP gibt es seit Dezember 2022. Die Plattform wurde gegründet, um die Donatoren, also die Finanziers, zusammenzubringen und die Länder auf einer Unterstützungsplattform zu vereinen. Wir haben uns lange darum bemüht, da auch mit am Tisch zu sitzen. So erfahren wir, wie die Regeln des Wiederaufbaus geschrieben werden. Das ist wichtig.
Werden die Spielregeln bilateral mit der Ukraine gemacht? – Die Ukraine ist natürlich dabei, klar. Die Ukraine hat Bedarf. Wir brauchen Regeln, um den Bedarf zu decken.
Das heißt, Österreich steht mit der ganzen Welt im Wettbewerb, vor allem mit Institutionen aus den USA oder aus Asien? – Mit allen. Das bestätigen meine ersten Eindrücke. Zum Beispiel sind die Japaner sehr aktiv. Sie legen wirklich ein großes Engagement an den Tag. Das gilt auch für die Schweiz und für Dänemark. Die US-Amerikaner sind sehr stark im Advisory-Bereich engagiert und beraten die Ukraine. Manche Länder gehen mit sehr großen Kapazitäten ans Werk. Es geht um Lieferungen, um Projekte und um Rohstoffe. Allesamt Themen, die eine wichtige Rolle spielen. Wenn der Bedarf für den Wiederaufbau wirklich in der Größenordnung von 600 Milliarden US-Dollar liegt, ist es ein Riesending, wenn es der österreichischen Volkswirtschaft gelingt, einige Prozent davon mit Leistungen abzudecken.
Was hat Österreich davon? – Unsere Unternehmen können Geschäfte machen, ganz einfach. Wir haben viele Kompetenzen, die dort notwendig sind. Im Energiebereich sind jetzt ungefähr 30 Firmen aus Österreich in dem betreffenden Cluster. Wir haben im Bereich der erneuerbaren Energie viel Kompetenz. Egal ob es um Wasser, Wind, Sonne oder um Netzwerke geht. Ein Erfolg wäre es, wenn die österreichische Wirtschaft von diesem Markt auch in weiterer Folge eine Belebung erfährt. Die Unternehmen wollen nicht einfach nur etwas liefern. Sie wollen in der Ukraine auch Niederlassungen gründen, sie wollen dort produzieren. Die Ukraine ist ein großer Markt.
Aber das kann derzeit nicht versichert sein, oder? – Ein Problem ist sicherlich die Versicherungsfrage. Schließlich handelt es sich um ein Land im Krieg. Man kann nicht einfach Menschen hinschicken. Sie fahren auf eigenes Risiko hin. Das ist auch ein Thema, an dem wir arbeiten. Derzeit macht jedes Land seine eigene Sache und versucht im eigenen Interesse, möglichst stark auch vor Ort vertreten zu sein. Wir wollen Ende Februar 2026 alle Koordinatoren der Europäischen Union nach Wien einladen. Der Kuchen ist so riesig. Wir sollten mehr kooperieren. Es wäre auch gut, wenn es einen EU-Koordinator gäbe.

Was nehmen Sie für sich persönlich aus der Aufgabe mit, die Sie übernommen haben? – Es ist ein emotionales Thema. Ich habe in Österreich spannende Jobs gehabt. Jetzt bin ich eigentlich in Pension. Da kann man wieder mal was machen für das Land, in dem ich meinen Wohlstand erarbeitet habe. Deshalb mache ich das ohne Bezahlung. Das Ende des Wiederaufbaus werde ich wahrscheinlich nicht erleben.
Was sind Ihre bislang besten Erfahrungen? – Sehr positiv ist, dass sich zeigt, wie engagiert österreichische Unternehmen sind. Wie sie dafür brennen und sagen, dass sie einen Beitrag leisten wollen. Positiv ist auch die Bereitschaft auf ukrainischer Seite, mit Österreich zusammenzukommen. Wir haben dort ein gutes Image. Auch wenn wir keine Waffen liefern. —

Autor 1
Chefredaktion
Autor 2
Finanzjournalist
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