Holcim-Österreich CEO: "CO2 emittieren ist derzeit billiger als speichern"
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Herr Primas, die Zementindustrie zählt weltweit zu den größten CO2-Emittenten. Holcim Österreich hat vor ein paar Wochen eine Anlage der Firma Neustark in Betrieb genommen, die CO2 aus dem Betonwaschwasser bindet und wieder in Gestein verwandelt. Wird damit das CO2-Problem gelöst? – Haimo Primas: Grundsätzlich hat Beton die Eigenschaft, dass er über die Zeit CO2 wirklich aufnimmt und wieder in Gestein verwandelt. Die Mengenwirkung ist aber erst über einen sehr langen Zeitraum nach Jahrzehnten spürbar. Durch Techniken wie jene von Neustark kann CO2 innerhalb von Sekunden in Beton eingebunden werden. Die Anlage am Alberner Hafen hat nur beschränkte Möglichkeiten, CO2 zu binden, da reden wir von 100 bis 150 Tonnen pro Jahr. In unserem größten Zementwerk in Mannersdorf stoßen wir pro Tag etwa 2.000 Tonnen CO2 aus. Das heißt, die Anlage ist keine Lösung für die Industrie, sie zeigt aber, dass die Technik funktioniert.
Könnte man das nicht einfach skalieren und gleich größer bauen? – So große Carbon Capture Anlagen gibt es weltweit schon, etwa in Kanada, Schweden und Dänemark. Für den größten Standort Österreichs, das ist das Holcim-Zementwerk in Mannersdorf, kostet so eine Anlage 400 bis 500 Millionen Euro. Damit könnte man 95 Prozent der CO2-Emissionen einfangen. Das CO2 muss dann verdichtet, gekühlt und verflüssigt werden und über Pipelines, mit LkWs oder Waggons als Flüssiggas zu einer Lagerstätte transportiert werden. Skandinavien und Kanada haben Offshore große Speichervolumen unter dem Meeresboden. In Österreich ist das Speichern im Boden, also das Carbon Capture Storage, derzeit nicht erlaubt. Wir rechnen aber damit, dass in Österreich bald eine entsprechende Regelung erlassen wird. Damit ist es aber nicht getan.
Inwiefern? – Österreich muss sich zu einer richtigen Carbon Management Strategie verpflichten. Das kann nur das Parlament. Es braucht Leitungen und gesetzliche Rahmenbedingungen und einen Vorteil für nachhaltige Produkte am Markt. Wenn nachhaltige Produkte immer teurer sind, dann kann sich die Masse der Gesellschaft das nicht leisten, also muss konventionell teurer werden und nachhaltig billiger. Das Gesetz kommt 2025, die Pipelines vielleicht nicht, die kann man aber über eine UVP genehmigt und dann finanziert bekommen. Die wahrscheinlich größte Herausforderung ist, der Bevölkerung die Angst zu nehmen, dass man unter einem Feld, aus dem man jahrzehntelang Gas und Öl gepumpt hat, jetzt wieder Gas reinpumpt. Dänemark arbeitet seit Jahren an dieser Kommunikation, damit die Bevölkerung versteht, was da passiert.
Das CO2, das bei der Zementproduktion anfällt, könnte man doch auch weiterverwenden, etwa für die Produktion von Flugkraftstoff? – Das so genannte Carbon Capture Utilisation hat seine Vor- und Nachteile. Ich kann das CO2, das ich abscheide, wieder in einen Energieträger zurück wandeln, etwa in E-Fuels oder auch in Kunststoff. Dazu braucht es Energie. Das heißt, ich muss wieder Energie aufwenden, damit dieser Kreislauf neu gebaut wird. Das macht nur Sinn, wenn wir über erneuerbare Energie sprechen und da etwa über grünen Wasserstoff, der aus erneuerbarer Energie und nicht aus Gas gewonnen wird, sondern aus Wasser. Elektrolyse ist sehr energieaufwendig, das heißt, ich brauche sehr viel Energie, um diesen Wasserstoff herzustellen. Und danach muss ich dann einen Kohlenwasserstoff generieren, den ich entweder als Brennstoff oder als Kunststoff weiterverwende. Die Technik ist bekannt, hat derzeit aber keinen ausreichenden Business Case. Außerdem ist CO2 emittieren derzeit billiger als speichern.
Was heißt das? – Die Industrie muss für jede Tonne CO2, die sie in die Luft lässt ein CO2-Zertifikat bezahlen. Für die Tonne CO2 macht das derzeit rund 65 Euro. Die Zementindustrie in Österreich emittiert etwa 2,5 Millionen Tonnen pro Jahr, sind also 140 bis 150 Millionen Euro Kosten. Ein Großteil dieser Kosten ist derzeit nicht spürbar, weil wir als Zementindustrie emittieren müssen, das heißt, wir bekommen die Verschmutzungszertifikate in einem gewissen Ausmaß gratis. Ab 1.1. 2026 wird die Anzahl der Gratiszertifikate reduziert, 2034 ist dann Schluss. 2024 könnte sich der Preis bei 150 Euro bewegen. Und jetzt die Frage: Was kostet mich eine Tonne CO2 nicht zu emittieren? Ich brauche eine Abscheideanlage für 400 bis 500 Millionen Euro, eine Pipeline für 100 bis 150 Millionen Euro. Das ist viel teurer.
Aber nur im ersten Jahr. – Nein. Der CO2-Preis unterliegt einem Marktmechanismus. Je mehr emittiert wird, desto höher die Nachfrage, desto höher der Preis. Allerdings braucht es von Europa ein klares Bekenntnis zum Industriestandort. Sonst wird sich, vor allem die Stahlindustrie sehr wohl überlegen, ob langfristig eine Produktion im so genannten ETS System Europa überhaupt Sinn macht, oder ob ich den Stahl dort produziere, wo ich keine CO2-Steuern habe.

Ab welchem CO2-Preis rechnet es sich dann? – Darum geht es nicht. Wenn wir als Gesellschaft und als EU an dem 1,5 Grad Ziel festhalten, müssen wir raus aus CO2 und CO2 abscheiden. In Österreich wird man sich auf die größten Emittenten aus Stahl, Zement, Chemie und Müllverbrennung konzentrieren. Wir haben in Österreich sechs Zementwerke, nicht alle werden 500 Millionen Euro investieren. Es darf aber weder einen Vorteil geben für jene die investieren, noch einen Nachteil für jene, die den CO2 Preis bezahlen. Dafür braucht es öffentliche Förderungen der Carbon Capture Storage (CCS) Anlagen in Höhe von 200 bis 300 Millionen Euro, damit die Kosten vergleichbar bleiben.
Holcim ist ein Schweizer Konzern, der weltweit tätig ist. Konzern-CEO Miljan Gutovic hat vor ein paar Monaten gesagt, dass das CO2-Thema die größte Chance für Holcim sei. Was meint er damit? – Wir sind als Konzern davon überzeugt, dass Wachstum durch Nachhaltigkeit möglich ist. Wir haben in Deutschland, Belgien, Spanien, Frankreich, Kroatien, Griechenland und Polen Förderzusagen für CCS-Anlagen und weitere acht bis zehn in einem Projektstatus, da gehört Mannersdorf in Österreich dazu. Wir möchten 2030 als Konzern CO2-freien Zement anbieten und damit ein Early Mover sein. Wenn wir von CO2 pro Tonne Klinker oder Zement sprechen, dann sind die österreichischen Werke im Konzern führend.
Was macht Österreich anders? – Holcim in Österreich wollte sich früh von fossilen Brennstoffen unabhängiger machen und sich von den schwankenden Preisen für Öl, Kohle und Koks entkoppeln. Deshalb haben wir stark in die Mitverbrennung von Abfall investiert und sind jetzt einer der größten Abfallverwerter Österreichs. Wir verbrennen aufbereitete Kunststoffe, Abfälle aus der Fahrzeugindustrie, Altöle und Lösungsmittel, die nicht mehr recycelt werden können, Altholz, und getrockneten Klärschlamm, letztere beide sind Biogenmaterial. Damit erzeugen wir Energie. Österreichs Zementindustrie ist mit 80 Prozent Ersatzbrennstoffrate weltweit führend, innerhalb Österreichs kommen die Holcim-Werke in der Südsteiermark auf 99 Prozent und Mannersdorf auf 85 Prozent. Zehn bis 15 Prozent unserer CO2-Emissionen sind biogen, das heißt, wir können künftig 80.000 bis 100.000 Tonnen biogenes CO2 aus der Atmosphäre entziehen und permanent speichern.
Wird sich Zement in den nächsten Jahren CO2-frei herstellen lassen? – Auf heutiger Sicht ist es chemisch nicht möglich, Zement so zu produzieren, dass kein CO2 anfällt. Wir können aber durch die Abscheideanlagen verhindern, dass CO2 in die Atmosphäre gelangt. Wir werden Zement noch lange brauchen, das wird durch den Megatrend Verstädterung und die daraus resultierende Bauaktivitäten vorangetrieben. Dieser Verantwortung sind wir uns bewusst.
Wieso holen wir das CO2 nicht gleich aus der Atmosphäre heraus. Dann hätten wir viele Probleme gelöst. – Diese Air Capture Anlagen gibt es technisch auch, die kosten um ein Vielfaches mehr, weil aus einer Million Luftteilchen, 400 Teilchen CO2 rausgefiltert werden müssen. Das ist so was wie ein Spritzer Apfelsaft im Mineralwasser, den man da rausholen muss. Diese Filtertechnologie kostet nach den neuesten Berechnungen 600 Euro pro Tonne CO2. Wenn man das auf die gesamten Energiekosten umlegt, dann steigen die Energiekosten für jeden um 25 Prozent. Sind wir als Welt bereit, 25 Prozent mehr für unsere Energie und den Treibstoff zu zahlen? Wir wissen, dass grüner Stahl in einem Neuwagen zu Mehrkosten von 500 bis 600 Euro führt. Mit CO2-freiem Zement steigen die Kosten für ein Einfamilienhaus um 1.500 bis 2.000 Euro. Diese Mehrkosten kann man als Gesellschaft tragen, aber man muss irgendwann anfangen. Wir müssen jetzt wahrscheinlich schon größere Schritte setzen, das spüren die Leute und daher macht man es auch nicht.
Was ist für Holcim die größte Herausforderung in den nächsten Jahren? – Neben verstärkter Kreislaufwirtschaft und weniger energieintensiven Materialien müssen wir die politischen Akteure davon überzeugen, Klarheit zu schaffen. Geht Österreich Richtung Dekarbonisierung, ist man bereit, zu investieren, falls ja, brauchen wir eine gesetzliche Grundlage. Und dann müssen wir für Akzeptanz unter der Bevölkerung sorgen. Das ist die größte Hürde.
Das Interview erschien in der Börsianer Grün Ausgabe 2025.

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