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Kommentar

Klimaschutz als Kostenfrage? Europas Industrie unter Druck

Der Ausstieg der USA aus zentralen Klimaschutzprogrammen stellt Europas Industrie vor ein Dilemma: Zwischen globalem Wettbewerbsdruck, hohen Energiekosten und ehrgeizigen Klimazielen droht der grüne Wandel zu stocken. Die Forderung nach verlängerten Freizertifikaten offenbart, wie brüchig Europas Rolle als Klimavorreiter geworden ist.

Veröffentlicht

20.10.2025

Lesezeit

3 min
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Schornsteine in einer comichaften Darstellen und die Fahnen der USA und EU
© KI generiert / Boersianer.at

Der Plan war eigentlich die Schaffung eines grünen Wirtschaftswachstums und Hunderttausender Jobs. Die emissionsintensive Industrie wurde bei dieser grünen Transformation mit CO₂-Zertifikaten im EU-Emissionshandelssystem unterstützt. Die Forderung der Voestalpine AG und rund 80 europäischen Industrieunternehmen nach einer Verlängerung der kostenlosen Zertifikate ist mehr als ein industriepolitischer Appell – sie ist auch ein Symptom geopolitischer Ohnmacht. Denn Klimaschutz endet dort, wo die USA aussteigen. Und genau das geschieht derzeit.

Die Regierung unter Donald Trump hat zentrale Klimaschutzinstrumente der USA demontiert: Die Umweltbehörde EPA will die wissenschaftliche Grundlage für CO₂-Regulierung abschaffen, die durch den Inflation Reduction Act eingeführten massiven Förderprogramme für grüne Technologien laufen aus, und die Industriepolitik kehrt zurück zu fossilen Rezepten. Die USA senden ein klares Signal: Der Klimawandel wird verleugnet und Klimaschutz ist kein Wettbewerbsfaktor – sondern ein Kostenrisiko. In Europa (und weiten Teilen der Welt) sah man das bislang umgekehrt: Dekarbonisierung setzte Innovation frei, gestaltet die Zukunft und erzeugt neue Geschäftszweige. Wackelt jetzt dieser faktisch basierte Glaubenssatz?

Überblick Zertifikate

Kennzahl

Wert

Erläuterung

Preis pro Tonne CO₂-Äquivalent

ca. €70-80/Tonne

Marktpreis für eine sogenannte EUA („Allowance“) im EU-ETS.

Prognostizierter Preis bis 2030

bis zu €130-150/Tonne

Analystenschätzungen für mittelfristige Entwicklung unter verstärktem Abbau der Emissions­rechte.

Abbau der Emissionsrechte (Cap Reduktion)

ca. -4,3 % jährlich ab 2024

Der „Linear Reduction Factor“ wurde angehoben, um die Emissionsmenge stärker zu senken.

Einnahmen aus Versteigerung

z. B. €43,6 Mrd im Jahr 2023

Einnahmenquelle für EU und Mitgliedstaaten aus dem ETS-Verfahren.

Quelle: Trading Economics, cer.eu

Forderung der Industrie

Die europäische Industrie reagiert zu Recht mit einer Schutzforderung: Verlängerte Freizertifikate sollen die Wettbewerbsfähigkeit sichern und letztlich Investitionen in grüne Technologien absichern - die Voestalpine AG investiert derzeit etwa mehr als eine Milliarde Euro in die Entwicklung von grünem Stahl - und sogenanntes Carbon Leakage vermeiden. Schon jetzt leidet die europäische Industrie unter mehr als doppelt so hohen Energiekosten wie die USA,  zusätzliche Mehrkosten wären schwer verkraftbar.  An dieser schwachen Position Europas wird sich auch so bald nicht viel ändern.

Energiepreise im Vergleich

Region

Industrieller Strompreis (Referenz)

Industrieller Gaspreis (Referenz)

Bemerkung zur Wettbewerbsfähigkeit

EU (Durchschnitt)

ca. €0,199 /kWh laut Industrieangabe für 2024.

Industrielles Gas in der EU ist mehr als das 4-fache der US-Preise.

Die EU-Industrie zahlt erheblich mehr – strukturelle Nachteile.

USA

ca. €0,075 /kWh laut Angabe für Strom (Industrie) in 2024.

Industrielles Gaspreisniveau deutlich niedriger als in der EU (unter “ein Viertel” der EU Preise)

US-Industrie hat klaren Kostenvorteil bei Energie.

Quelle: businesseurope.eu, CLEPA

Denn die EU wagt es, zumindest derzeit, nicht, Druck auszuüben. Sonderzölle auf CO₂-intensive US-Produkte? Undenkbar! Bereits im Zollstreit wurde klar, dass man die Karte EU-Binnenmarkt nicht zu spielen wagt. Der Plan, selbst als grüner Vorreiter voranzugehen und alle anderen anzuhalten, es gleichzutun, wenn sie am EU-Binnenmarkt verkaufen wollen, geht offenbar nicht auf. Die europäischen Rechtspopulisten drängen schon längst darauf – und tatsächlich mehren sich die Anzeichen, dass eine klimapolitische Rückwärtsrolle auch in Europa bevorsteht. Die Frage ist bloß, wie krass sie wird.

Die Guten werden enttäuscht

Doch genau hier liegt das Risiko: Wenn CO₂-Ausstoß weiterhin kostenlos bleibt, verliert der Emissionshandel seine Lenkungswirkung. Die Transformation wird verzögert, die Klimaziele rücken in gefährliche Ferne. Und ja, die Unternehmen, die in der Transformation besonders innovativ sind, und darauf hofften, dass das Angekündigte auch eingehalten wird, könnten als Betrogene dastehen. Letztlich brauchen auch Transformationsunternehmen wie die Voestalpine einen entsprechenden CO₂-Preis, um mit ihrem grünen Stahl gegenüber billigeren, aber klimaschädlichen Produkten reüssieren zu können. Am Ende muss die Frage stehen: Wird hier um Wettbewerbsfähigkeit gekämpft – oder um alte Geschäftsmodelle?

Daniel Nutz

Autor

Daniel Nutz

Chefredaktion

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