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Interview

Megatrend: Wertschöpfung nur mit günstiger Energie

Der Börsianer traf Energieexpertin Eva-Maria Pusch beim Theseustempel in Wien und sprach mit ihr über Aufbruchsstimmung und Energieweitsicht in den Golfstaaten, die Macht Chinas in Sachen Solar, Wind und Elektrolyse und warum Europa entscheidungsfreudiger werden muss.

Veröffentlicht

08.10.2025

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© Börsianer
„Der Theseustempel ist für mich die Symbolkraft von Realität versus Mythos. Das gilt auch für die Energiewirtschaft. Durch die Komplexität und Volatilität in der Welt müssen wir verstehen, wie man unser Energiesystem für Energiesicherheit diversifizieren kann“, sagt Expertin Eva-Maria Pusch.

Energiesysteme sind die treibende Kraft einer Gesellschaft und greifen sehr komplex in unser tägliches Leben ein. Wo entwickeln sich unsere Energiesysteme hin, und wie diversifizieren wir diese Systeme für mehr Energiesicherheit?

Was ist die Energieform der Zukunft?Eva- Maria Pusch: Die Energie der Zukunft ist ein hybrides Portfolio aus Molekülen und Elektronen. Nur wenn erneuerbare und konventionelle Energieträger zusammenspielen, gewährleistet das Energiesicherheit und Stabilität. Ich beschäftige mich seit 18 Jahren mit Energie und ihren Zusammenhängen – und wir müssen stärker additiv denken sowie regionale Unterschiede anerkennen. Für die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie muss das zu einem leistbaren Preis gelingen.

Wird die Innovationskultur dafür genug gefördert? – Ich war vor kurzem in Bahrain auf einer Energiekonferenz. Dort wurden Energiewende, Klimawandel und Energiesicherheit vor allem im Zusammenhang mit Wasser diskutiert. Die Golfstaaten spüren die Folgen des Klimawandels mit extremer Hitze und Wasserknappheit bereits deutlich und suchen intensiv nach Lösungen: Wasser so lange wie möglich zu erhalten und Technologien zu entwickeln, die ohne Wasser auskommen. Gleichzeitig steht die Entwicklung alternativer Energieträger stark im Vordergrund, insbesondere das Thema Elektrifizierung. Es herrscht Aufbruchsstimmung: Neugier und Appetit auf Neues sind groß – und die finanziellen Mittel vorhanden.

Welche Technologien entstehen? – Der weltweite Fokus liegt auf erneuerbare Energieträger für jene Sektoren, die sich besonders schwer elektrifizieren und dekarbonisieren lassen, etwa die Luftfahrt- und Schifffahrtsindustrie, die Zement- und Stahlproduktion sowie die chemische Industrie. Derzeit entstehen Technologien, um Treibstoffe nicht länger aus Öl und Gas, sondern aus Altspeiseöl oder anderen Reststoffen herzustellen.

In den nächsten fünf bis zehn Jahren werden viele Industrien, etwa Chemie, Pharma, Auto, aus Europa vermutlich abwandern müssen, wenn keine kostengünstigen Energieträger zur Verfügung gestellt werden können. Der Wegfall des russischen Gases trifft Europa hart auf der Kostenseite.
Eva-Maria Pusch
360 Jet Fuel

Haben die Länder schon die Infrastruktur dafür? – Ja, diese gibt es weltweit schon, jedoch nimmt die Geschwindigkeit in Asien sowie in Latein- und Südamerika zu – vom Errichten von Sammelstellen bis hin zu neuen Technologien, die Reststoffe in nachhaltige Treibstoffe umwandeln. Bei 360 Jet Fuel arbeiten wir daran, ein globales Ökosystem für erneuerbare Energieträger aufzubauen – mit Fokus auf jene Sektoren, die sich nur schwer über Elektrifizierung dekarbonisieren lassen. Unsere Aufgabe ist es, weltweit Produzenten solcher Kraftstoffe zu identifizieren und sie mit den Abnehmern zu vernetzen.

Eva-Maria Pusch, Partnerin 360 Jet Fuel
Die internationale Energie- und M&A-Expertin (38) begleitet Unternehmen bei Transformation- und Wachstumsprozessen. Als Partnerin bei 360 Jet Fuel treibt sie den Einsatz erneuerbarer Kraftstoffe in Schwerindustrien wie Aviation, Shipping und Chemie voran. Parallel dazu ­entwickelt sie mit 360 Valuse ein Venture für Advisory, Venture-Building und digitale Lösungen zur Dekarbonisierung industrieller Prozesse. Ihre Schwerpunkte liegen auf Energie, Kreislaufwirtschaft sowie der Verbindung von Technologie, M&A und ­Foresight.

Werden Biokraftstoffe in ausreichender Menge hergestellt? – Ich sage immer: Die McDonald’s dieser Welt müssen das nun liefern. Durch die europäische Regulierung ist ein klarer Bedarf entstanden – und damit ein Markt. Seit Jänner 2025 gilt in der EU und im Vereinigten Königreich die Verpflichtung, mindestens zwei Prozent Biokraftstoffe beizumischen. Theoretisch ist dafür genug Pro­duktionskapazität vorhanden, praktisch läuft die Umsetzung erst an: Bis 2030 steigt die Quote auf sechs Prozent, weshalb jetzt großskalige Projekte starten müssen. Europa bleibt dabei vor allem Abnehmer: Produziert wird überwiegend in Asien und Lateinamerika. Bemerkenswert ist, dass gerade in diesem Bereich viele Start-ups aktiv werden. Sie wollen so nicht nur zum Klimaschutz beitragen, sondern auch gesellschaftliche Probleme wie Abfallwirtschaft lösen.

Wann gibt es Biokraftstoffe zu wettbewerbsfähigen Preisen? – Bis zu einer echten Kostenparität mit fossilem Kerosin wird es noch einige Jahre dauern. Aktuell sind Biokraftstoffe drei- bis viermal so teuer wie fossiler Treibstoff – ein Zeichen, wie jung und volatil der Markt noch ist. Die Tendenz ist aber sinkend, je mehr Produktionskapazitäten entstehen.

© Börsianer
„Wir erleben eine Deglobalisierung der Energiewelt: Jedes Land und jede Region sucht nach Wegen, sich unabhängig zu versorgen“, sagt Eva-Maria Pusch im Gespräch mit Ingrid Krawarik von der „Börsianer“-Chefredaktion.

Ohne Gas geht es nicht? – Gas wird noch lange eine Rolle spielen – nicht zuletzt, weil es Kohle ersetzt, die nach wie vor den zweiten Platz im globalen Energiemix fossiler Energieträger einnimmt. China diversifiziert stark: Es ist bei Erneuerbaren erstmals führend, baut aber zugleich weiter auf Kohle und Gas. Die USA profitieren von ihrem Zugang zu günstigem kanadischem Gas: Sie können ihr teureres eigenes Gas nach Europa und Asien exportieren und ihre Wettbewerbsfähigkeit und ihre eigene Wirtschaft stärken.

Was wird sich ändern? – Die vertrauten Handelsströme brechen auf. Der Globale Süden rückt enger zusammen: Indien kooperiert mit Brasilien, China mit Afrika. Dadurch verschiebt sich die gesamte Wertschöpfungskette.

Wo wird Wertschöpfung stattfinden? – In Zukunft dort, wo günstige Energie produziert wird. In den nächsten fünf bis zehn Jahren werden viele Industrien, etwa Chemie, Pharma, Auto, aus Europa vermutlich abwandern müssen, wenn keine kostengünstigen Energieträger zur Verfügung gestellt werden können. Der Wegfall des russischen Gases trifft Europa hart auf der Kostenseite, und erneuerbare Energien allein können die Lücke nicht schließen.

360 Jet Fuel
360 Jet Fuel entwickelt eine digitale Book-&-Claim-Plattform für den Aufbau eines globalen Ökosystems für nachhaltige Kraft­stoffe, die Transparenz schafft von der Nachverfolgung der Produkte bis hin zur CO2-Einsparungsmessung. Diese soll auch bald als Basis für ein zukünftiges globales Trading­modell dienen. „Und wir prüfen derzeit den Aufbau von Infrastrukturlösungen für Abfallstoffe in Süd- und Lateinamerika. Man muss Businessmodelle neu denken, es geht mehr um Partnerschaften. Da findet ein Umdenken im kleinen Rahmen statt. Das gibt Hoffnung, dass da etwas schönes Neues entsteht“, sagt Eva-Maria Pusch.

Wer sind die Hoffnungsträger? – Die Golfstaaten spielen eine wichtige Rolle, weil sie in der Forschung bereits weit fortgeschritten sind. China ist heute Weltmarktführer – nicht nur bei Solarpaneelen und Batterien für Elektromobilität, sondern auch bei Elektrolyseuren, die für die Wasserstoffproduktion entscheidend sind. Zudem hat sich China schon früh Minen in Afrika für seltene Erden und Edelmetalle gesichert – Rohstoffe, die wir für die Energiewende dringend brauchen.

Was heißt das jetzt für Europa? – Wir erleben eine Deglobalisierung der Energiewelt: Jedes Land und jede Region sucht nach Wegen, sich unabhängig zu versorgen. Öl und Gas bleiben global verfügbar, doch bei neuen Energieträgern entsteht ein fragmentierter Markt. Europa muss schneller und entschlossener handeln. Know-how und Technologie sind vorhanden, aber wir müssen auf die unterschiedlichen regionalen Bedürfnisse die richtigen Antworten finden. —

Ingrid Krawarik

Autor

Ingrid Krawarik

Chefredaktion

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