Gastkommentar

"Wir werden alle reich"

Rund um die Künstliche Intelligenz hat sich ein gewaltiger Hype ­entwickelt. Klar ist, dass die KI unser Leben massiv ändern wird. Unklar ist, ob sich die gigantischen Investitionen auszahlen werden. Schon tauchen Vergleiche mit der Hightech-Blase im Jahr 2000 auf. ­Damals hieß es in der Euphorie: Wir werden alle reich.

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15.12.2025

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Martin Kwauka, Leiter des Finanzjournalistenforums,

Die Frage aller Fragen an der Börse: Gibt es eine Blase rund um die Künstliche Intelligenz? Und wenn ja, wann platzt sie? Die Börsen sind extrem nervös; der rasante Anstieg der Börsenkurse von KI-Aktien erinnert an Zeiten der Hightech-Blase um die Jahrtausendwende. In den vergangenen 36 Monaten legte Palantir rund 2.000 Prozent zu, Nvidia 1.000 Prozent. Auch die Geschäfte laufen spektakulär: Nvidia als monopolartiger Hersteller von schnellen KI-Chips steigerte im dritten Quartal den Umsatz um 62 Prozent auf 57 Milliarden Dollar, die Margen sind angesichts von 31,9 Milliarden Nettoeinkommen enorm. Doch selbst diese überraschend positiven Zahlen des Chip-Herstellers Nvidia sorgten nicht einmal 24 Stunden für Beruhigung. Am 20. November legte der S&P 500 anfangs dank Nvidia über ein Prozent zu, um zum Schluss deutlich in roten Zahlen zu enden. Laut der Nachrichtenagentur Bloomberg ist ein derartiger Richtungswechsel an der Wall Street innerhalb einer Börsensitzung seit 1957 nur achtmal passiert.

Selbst die EZB warnt inzwischen vor gefährlichen Überbewertungen durch den KI-Boom. Ein Börsencrash könnte sogar die Stabilität der Finanzmärkte gefährden. Immer mehr Investoren fragen: Werden sich die anvisierten gigantischen Investitionen in schnelle Chips und Datencenter von rund 400 Milliarden US-Dollar pro Jahr jemals auszahlen? Und wann ist der Moment, um die Reißleine ziehen? Die Optimisten argumentieren, dass die börsennotierten KI-Unternehmen anders als viele Rohrkrepierer des Jahres 2000 ordentlich Geld verdienen. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Es geht nicht um die Frage, ob Firmen den KI-Boom überleben, sondern ob die Bewertungen nachhaltig sind. Nokia, damals unangefochten die Nummer eins bei Handys, ist inzwischen nur ein Schatten von einst. Auch die Deutsche Telekom verdiente operativ immer Geld. Zur Erinnerung: Die 1996 ausgegebene T-Aktie hatte sich im März 2000 beim Höchstkurs von 103,50 Euro versiebenfacht. Damals titelte die „Bild“-Zeitung: „Ansturm auf die neue T-Aktie. Wie reich kann ich werden?“ Der Hype um die Volksaktien der Deutschen Telekom wurde von der Fantasie auf mobiles Internet angefacht. Der Absturz erfolgte, als die Telekom und fünf Konkurrenten in einer Auktion für deutsche UMTS-Mobilfunk-Lizenzen die riesige Summe von insgesamt 50,8 Milliarden Euro investierten. Die T-Aktie fiel wie ein Stein bis auf einen absoluten Tiefpunkt von 7,71 Euro im Jahr 2012. Die Telekom wird vermutlich den Höchstkurs selbst in Jahrzehnten nicht mehr erreichen, hat aber immerhin überlebt; einige der Mitbieter erstickten an den verpulverten Milliarden.

»Die aktuelle ­Kurskorrektur kann, sollte sie im Rahmen bleiben, durchaus ein Segen sein.«
Martin Kwauka

Die aktuelle Kurskorrektur kann, sollte sie im Rahmen bleiben, durchaus ein Segen sein. Wirklich alarmierend wäre es, ginge der KI-Hype nach kurzer Pause munter weiter. Ebenfalls zur Erinnerung: Das Börsenjahr 1999 verlief anfangs gar nicht berauschend. Der deutsche Dax-Index trat bis Oktober auf der Stelle, am berühmt-berüchtigten Neuen Markt in Frankfurt rutschten die Kurse sogar deutlich ins Minus. Erst dann ging sechs Monate lang die Post ab. Dutzende Newcomer gingen an die Börse. Fast alle starteten mit zweistelligen Gewinnen am ersten Handelstag. Viele Aktionäre kauften blind zu. Die anschließenden Verluste waren nicht nur in Deutschland gigantisch. Der Aktienfonds JPMorgan US Technology fiel zum Beispiel um fast 95 Prozent. Praktisch alle weltweiten Börsenindizes mit Ausnahme des ATX notierten noch im Jahr 2010 unter den Rekorden des Jahres 2000. Das wird sich so sicher nicht wiederholen. Aber wenn die „Bild“ wieder mit der Schlagzeile „Wir werden alle reich“ erscheint, sollte man die Schäfchen rasch ins Trockene bringen.

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