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Interview

ESG? Jetzt erst recht!

Gerade während in den USA eine reaktionäre Welle rollt und ESG zum Feindbild wird, legt der international tätige Vermögensverwalter Comgest mit dem „Growth America ESG Plus“ einen nachhaltigen US-Aktienfonds auf. Wieso man gerade jetzt diesen Schritt wagt und an ESG glaubt, wollten wir im Interview mit den Verantwortlichen wissen.

Veröffentlicht

22.08.2025

Lesezeit

4 min
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Börsen Bulle mit Slogans besprüht
© MICHAEL M. SANTIAGO / AFP Getty / picturedesk.com
Im Bild: Proteste an der News Yorker Wall Street nachdem Unternehmen (unter Druck der US-Regierung) von Nachhaltigkeitszielen abwichen. Haben nachhaltigkeitsorientierte Unternehmen in den USA dennoch gute Aussichten? Ja!, meinen Catriona Marshall und Liudmila Strakodonskaya.
Überblick
Porträt der beiden Frauen von Comgest
  • Trotz politischem Gegenwind: in den USA sieht Comgest langfristige Chancen für nachhaltige Investments im US-Aktienmarkt.

  • Warum ESG: Unternehmen mit Nachhaltigkeitsfokus sind einfach besser: Entscheidend sind Qualität, Resilienz und Unternehmenskultur.

  • Da gibt es Chancen: vor allem bei wachstumsstarken, transparente Unternehmen – mit klarer ESG-Strategie und belastbarem Geschäftsmodell.

Catriona Marshall (l.), Head of Sustainable Investment bei Comgest und Liudmila Strakodonskaya (r.), ESG-Analystin für US-Aktien bei Comgest, standen uns Frage und Antwort.

Die von US-Präsident Trump neu geformte US-Umweltbehörde versucht gerade, sich selbst abzuschaffen. Sollte der Plan aufgehen, müssen Unternehmen künftig nicht mehr CO₂ reduzieren. Wieso glauben Sie, dass das ein guter Zeitpunkt ist, um einen ESG-Fonds für US-Aktien auf den Markt zu bringen? - Liudmila Strakodonskaya: Unabhängig von kurzfristigen politischen oder regulatorischen Veränderungen sehen wir als langfristig orientierte Investoren weiterhin attraktive Chancen im US-Markt. Unser Ansatz ist bewusst selektiv und gründlich: Jedes Unternehmen wird einzeln und in der Tiefe analysiert – mit Blick auf die Tragfähigkeit seines Geschäftsmodells, die Qualität seiner Wettbewerbsposition und die Relevanz wesentlicher Nachhaltigkeitsaspekte. Für uns bedeutet das auch, zu beurteilen, wie ehrgeizig die vom Unternehmen gesetzten Netto-Null- bzw. CO₂-Reduktionsziele sind und welche Fortschritte es dabei erzielt.

Der US-Regierung ist Netto-Null egal. Sie preist vielmehr die Klimasünder. - Liudmila Strakodonskaya: Fakt ist: Unternehmen, die ESG ernsthaft verfolgen, sind in vielerlei Hinsicht resilienter und für künftige Herausforderungen besser aufgestellt als andere.

Aber Trump geht ja so weit, dass er gewisse ESG-Werte wie etwa Diversität und Gleichstellung bekämpft. - Liudmila Strakodonskaya: Ja, in einzelnen Rechtsordnungen kann es vorkommen, dass Unternehmen bestimmte Zielsetzungen zurücknehmen. Dennoch sehen wir in der Regel, dass zentrale langfristige ESG-Verpflichtungen bestehen bleiben. Unsere Aufgabe ist es daher, im Kontext des jeweiligen Geschäftsmodells genau zu prüfen, wie tragfähig diese Ziele sind, welche Fortschritte erzielt werden – und ob daraus potenzielle Risiken oder Chancen für die langfristige Wertschöpfung entstehen.

Wie weit kann die Regierung Trump in diesem Backlash gehen? - Liudmila Strakodonskaya: Ehrlich gesagt: Wir wissen es nicht – und wir glauben auch nicht, dass es unsere Aufgabe ist, das zu wissen. Unser Fokus liegt auf den Faktoren, die wir aktiv beeinflussen können. Lässt sich unsere Priorität in einem Wort beschreiben, dann ist es „Resilienz“. Wir investieren in Unternehmen mit einem ESG-Verständnis, das nicht auf kurzfristigen Trends beruht, sondern fest in der Unternehmenskultur verankert ist. Solche Unternehmen bleiben auch in unsicheren oder politisch herausfordernden Zeiten handlungsfähig und handeln verantwortungsvoll. Einer unserer Mitgründer, Vincent Strauss, hat es treffend formuliert: Ein großer Teil der Finanzwelt basiert auf gesundem Menschenverstand. Das gilt auch für gute Unternehmensführung – sie folgt keinen Moden, sondern klaren, bewährten Prinzipien, die langfristigen Erfolg ermöglichen.

Gesunder Menschenverstand und die Regierung Trump. Es gibt manche, die an diesen Zusammenhang zweifeln. - Liudmila Strakodonskaya: Aktuelle Kontroversen – wie der Wettbewerb zwischen Rechenzentren und lokalen Gemeinden um knappe Energie- und Wasserressourcen oder die daraus resultierenden Preissteigerungen – zeigen, dass Unternehmen nicht warten können, bis politische Rahmenbedingungen sie zum Handeln zwingen. Für viele Technologieunternehmen ist es daher eine strategische Notwendigkeit, ihre Versorgungssicherheit und Ressourcennutzung langfristig abzusichern. Das ist weniger eine Reaktion auf kurzfristige politische Zyklen als vielmehr Ausdruck vorausschauenden Risikomanagements und des Schutzes der eigenen Wettbewerbsfähigkeit. Unsere Aufgabe ist es, genau jene Unternehmen zu identifizieren, die solche Herausforderungen frühzeitig erkennen, gezielte Maßnahmen ergreifen und dadurch nicht nur widerstandsfähig bleiben, sondern im Idealfall gestärkt aus Krisen hervorgehen.

Interessante Unternehmen finden sich in vielen Bereichen – etwa im Sektor Baurohstoffe.
Liudmila Strakodonskaya

Ein Blick in Ihr Portfolio zeigt: Es ist viel Tech vertreten. Welche Bereiche finden Sie weiters interessant? - Liudmila Strakodonskaya: Interessante Unternehmen finden sich in vielen Bereichen – etwa im Sektor Baurohstoffe. Das US-Unternehmen Vulcan Materials ist der größte Produzent von Zuschlagstoffen wie Kies, Sand und gebrochenem Stein, die in nahezu jedem Gebäude und in jeder Infrastruktur in den USA zum Einsatz kommen. Unternehmen dieser Art sind für die Wirtschaft von grundlegender Bedeutung. Wir investieren in solche Firmen – stets mit dem Anspruch, die besten zu identifizieren, unabhängig von der Branche. In der Regel werden wir in Branchen mit dynamischem Gewinnwachstum – etwa im Gesundheitswesen oder in der Informationstechnologie – häufiger fündig. Bei Sektoren wie Banken oder Versorgern hingegen fehlt uns oft die gewünschte Transparenz im Geschäftsmodell und die Vorhersehbarkeit der Gewinne, die für unsere langfristige Anlagestrategie entscheidend sind.

Okay, jeder will immer die besten. Was sind denn Ihre Indikatoren bei der Suche? - Catriona Marshall: Unsere ESG-Bewertung basiert auf einer internen Qualitätsmethodik mit Einstufungen von 1,0 bis 4,0. Herzstück dieses Ansatzes ist die fundierte Expertise unserer fünf ESG-Analystinnen und -Analysten, die im Schnitt 30 bis 45 Unternehmen pro Region detailliert abdecken und vollständig in die Investmentteams integriert sind. Anstelle eines rein zahlengetriebenen Screenings setzen wir auf eine Kombination aus quantitativer und qualitativer Analyse: Wir verbinden tiefgehendes Wissen über ESG-Risiken und -Chancen mit einem umfassenden Verständnis der jeweiligen Geschäftsmodelle. Dabei berücksichtigen wir Faktoren, die zu langfristigem Qualitätswachstum beitragen – etwa eine starke Unternehmensführung und ein kompetentes Management, eine gelebte Unternehmenskultur sowie eine überzeugende Equity Story.

In Europa diskutieren wir gerade, ob grüne Fonds in Waffen investieren dürfen. Manche tun es bereits, weil selbst die Paris-Aligned Benchmarks gewisse Waffenkategorien zulassen. Wie handhaben Sie das? - Catriona Marshall: Wir haben unsere gruppenweite Ausschlusspolitik für konventionelle Waffen überarbeitet – unter anderem vor dem Hintergrund geänderter Anforderungen seitens Investmentverbänden. Für unsere Standardfonds bedeutet dies, dass Investitionen in Unternehmen, die konventionelle Waffen herstellen, theoretisch möglich sind – vorausgesetzt, sie erfüllen unsere Qualitätskriterien. Für unsere ESG-Plus-Fonds gilt der Ausschluss weiterhin. Doch auch nach dieser Anpassung investieren wir nicht automatisch in Rüstungsunternehmen. Kurzfristige Rückenwinde durch politische Entwicklungen reichen uns nicht aus. Entscheidend sind für uns langfristige Qualität, nachhaltiges Wachstum und stabile Ertragsmodelle – Kriterien, die viele Unternehmen der Rüstungsbranche nicht erfüllen.:

Comgest Growth America ESG Plus Fonds: Der Fonds existiert seit Juli 2025, weshalb es noch keinen validen Track-Record gibt. Das Anlageziel des Fonds besteht darin, ein professionell verwaltetes Portfolio aufzubauen, das – nach Einschätzung des Investmentmanagers – aus hochwertigen Unternehmen mit langfristigem Wachstumspotenzial besteht, die ihren Hauptsitz in den Vereinigten Staaten von Amerika haben oder dort den Großteil ihrer Geschäftstätigkeit ausüben.

Daniel Nutz

Autor

Daniel Nutz

Chefredaktion

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