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„Man sollte sich selbst nie zu wichtig nehmen“

Rückkehrer. Rainer Seele war von 2015 bis Ende August 2021 Vorstandschef der OMV AG. Jetzt verantwortet er bei der Adnoc-Tochter XRG das internationale Chemiegeschäft. Das größte Asset im Portfolio ist die Borouge International Group.

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18.12.2025

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Rainer Seele: "Europa muss sich auf seine große Stärke besinnen, das ist die Innovationskraft."

Als OMV-Vorstandschef hat er polarisiert, jetzt ist Rainer Seele zurück und verhandelt die Spielregeln der größten Fusion in der Geschichte Österreichs. Was der neu geschaffene Chemiegigant Borouge International Group für den Standort bedeutet und welche Rolle der Wien-Fan in Zukunft spielen wird.

Rainer Seele lebt seit vier Jahren in Abu Dhabi. Er hat ab und zu Heimweh, vermisst Österreich, Vanillekipferln, Bergkäse, die Staatsoper und freut sich, dass er derzeit für die Adnoc-Tochter XRG die Zukunft der Borouge International Group (BGI) in Österreich mit der OMV AG mitverhandelt. Der ehemalige OMV-Vorstandschef kam auf ein Gespräch und ein Käsebrot in die Börsianer-Redaktion. Dabei erzählte er über seine Rolle in dem Merger, die strauchelnde Chemieindustrie, die Bedeutung der Megafusion von Borealis, Borouge und Nova Chemicals zum weltweit viertgrößten Polyolefinkonzern für Österreich und verriet, ob er im Aufsichtsrat der BGI nach dem Rechten sehen wird.

Herr Seele, Sie sind derzeit wieder öfter in Österreich anzutreffen, weil Sie für die Adnoc-Tochter XRG die künftigen Spielregeln und Corporate Governance des Zusammenschlusses zwischen Borealis und Borouge mit der OMV verhandeln. Was ist Ihre Rolle in dem Merger? Rainer Seele: Ich werde diesen Merger als Aktionär begleiten und dabei alles tun, dass die Borouge Group International (BGI) ein Erfolg wird. Ich kenne alle Unternehmen – Borouge, Borealis und Nova – sehr gut und kann hier einen guten Beitrag leisten. Dieser Merger wurde seit längerer Zeit sorgfältig vorbereitet und muss schnellstmöglich umgesetzt werden. Meine Rolle bei XRG geht über BGI hinaus. Ich bin für das gesamte Chemieportfolio verantwortlich. In diesem Portfolio ist BGI das größte Asset, welches für mich von großer Bedeutung ist.

Wieso kommt die Fusion so spät? – Wir sind rechtzeitig da, aber ein Jahr eher hätten wir diese Synergien früher angehen können. Beim Innovationswettbewerb habe ich ein Lachen auf dem Gesicht, da ist die BGI allen anderen weit voraus. Beim Kostenwettbewerb besteht Handlungsbedarf – wie derzeit im gesamten Chemiesektor. Da müssen wir hart arbeiten. Das ist keine schöne Phase im Managerleben, weil man sich damit kaum Freunde macht.

Warum ist die Chemieindustrie derzeit unter Wasser? – Die chemische Industrie ist immer ein konjunktureller Vorbote. Die weltweite Konjunkturabschwächung hat zur Folge, dass sich die Chemieindustrie in einem Downcycle befindet, der noch nie so lange angedauert hat wie jetzt. Die Ursachen sind sehr komplex. Ein Hauptgrund sind Überkapazitäten in China. Wir sehen weltweit, dass bei sehr vielen chemischen Wertschöpfungsketten 30 Prozent der Überkapazitäten durch Überinvestitionen im chinesischen Markt entstanden sind. Man muss sich mal die Frage stellen, warum die Unternehmen so viel in China investiert haben.

Weil jeder Kosten sparen möchte. – In Europa und in Asien sehe ich fast das gleiche Gaspreisniveau. Trotzdem entscheiden sich Unternehmen immer noch dazu, verstärkt in China zu investieren. Und ja: Die bauen ganz einfach die gleiche Anlage zum halben Preis in der halben Zeit in China. Die Überregulierung in Europa hat den Standort sehr geschwächt. Nehmen Sie ein aktuelles Beispiel: Das Lieferkettengesetz wurde erst dank eines unternehmerischen Kraftakts hinterfragt. Der bürokratische Aufwand ist unglaublich. Das Thema Time-to-Market ist für die Kalkulation solcher Investitionen von enormer Bedeutung. Das zweite Thema sind die hohen Kosten, die sind bei uns so stark gestiegen, dass wir international nicht mehr wettbewerbsfähig sind. Und da rede ich jetzt von den Kosten, die man für den Bau einer Anlage hat. Das fängt beim Material an, geht über Kontraktoren bis zum Betrieb der Anlage. Da sehe ich Handlungsbedarf.

»Wir sind ja keine Plastiksackerlfirma, wir stellen für den Kunden hoch­gradig spezialisierte Produkte her.«
Rainer Seele

Ich behaupte jetzt, ohne billige Energie wird das nichts mehr in Europa. – Ich stimme Ihnen zu, die Abwanderung können wir wirklich nur stoppen, wenn wir günstigere Energien anbieten können. Bei der Energieversorgung hat man klare Konzepte. Die Politik hat die Bedeutung erkannt und Maßnahmen – beispielsweise der Industriestrompreis in Deutschland – zur Entlastung, insbesondere für energieintensive Unternehmen, entwickelt. In der Chemieindustrie leiden wir aber derzeit viel stärker an der schwachen Auftragslage. Der Verband der Chemischen Industrie in Deutschland hat das kürzlich analysiert und rechnet frühestens 2027 mit einer Aufhellung. Die Lieferketten sind verlagert worden. Die Automobilindustrie investiert verstärkt in die USA oder in China. Da kann die chemische Industrie nur bedingt am Standort Europa investieren, weil man in die jeweiligen Lieferketten integriert ist.

Das heißt, in Europa wird es möglich sein, wettbewerbsfähig zu produzieren? – Ich mache mir mehr Sorgen, dass Europa langfristig ein attraktiver Investitionsstandort ist. Europa muss sich auf seine große Stärke besinnen, das ist die Innovationskraft. Nicht auf Basis von günstigen Rohstoffkosten, sondern auf Basis von Innovationen neuer Produkte. Die Puste geht uns so schnell nicht aus.

 Ist das jetzt Ihre gute Miene zum bösen Spiel? – XRG ist nichts anderes als ein Großinvestor. Ich muss als Investor Opportunitäten suchen und Vorstellungen haben, wie sich die Branche entwickelt. Ich bin davon überzeugt, dass die Chemieindustrie wieder zurückkommen wird. Bei den Polyolefinen haben wir ein gesundes Marktwachstum. Das Problem ist, dass wir ein Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage wegen der Überkapazitäten haben. Einige Anlagen in Europa sind auf aktueller Kostenbasis nicht mehr wettbewerbsfähig. Da wird es jetzt zu einer Konsolidierung in der Chemieindustrie kommen. Das ist ein Gesundungsprozess. Damit wird die Angebotsseite vermindert.

So wie der Merger zwischen Borealis, Borouge und Nova Chemicals? – Das ist eine andere Art von Konsolidierung. Wenn Sie sich die Unternehmen selbst anschauen, sind wir in den jeweiligen kontinentalen Märkten bereits Champions. Borouge hat trotz des Marktumfelds eine unglaublich stabile Ertragskraft und profitiert von günstigen Rohstoffkosten in Abu Dhabi. Die Borealis in Europa ist für uns von enormer Bedeutung. Sie ist die Innovationsperle von Österreich, da sind unglaublich viele kluge Köpfe, die haben tolle Ideen, wie sie Katalysatorenprozesse und Technologien verbessern können. Aufgrund der technologischen Führungsposition können wir über die BGI Produkte herstellen, die im Premiumpreissegment verkauft werden. Damit steigen die Margen. Nova Chemicals sitzt in Kanada, umgeben von großen Gasvorkommen, und profitiert ähnlich wie Borouge von günstigen Rohstoffen. Wenn wir alle Unternehmen zusammenbringen, können wir eine Optimierung vornehmen und eine Ertragskraft erzielen, die über das hinausgeht, was unsere Wettbewerber können.

Es heißt, durch den Merger entstehen Kosteneinsparungen von einer halben Milliarde US-Dollar. Von welchen Synergien sprechen Sie da? – Die Synergien konzentrieren sich zum Beispiel auf Abläufe bei den Bestellungen im Bereich der Beschaffung. Da hat man ein größeres Beschaffungsvolumen und dadurch eine bessere Verhandlungsposition. Das ist eine andere Robustheit. Wir können die Vermarktung verbessern: Da sind wir nicht mehr in der kontinentalen Vermarktung, sondern in der globalen Optimierung der Verkäufe. Auch die Logistikkosten lassen sich verbessern. Die BGI hat die absolute Technologieführungsposition und damit eine außerordentlich günstige Kostenposi­tion. Außerdem betreibt sie sehr moderne und effiziente Anlagen.

Ist die BGI für den Konkurrenzkampf mit China gerüstet? – China kocht auch nur mit Wasser. In China gibt es Kapazitäten, die aber nur in ein bestimmtes Marktsegment verkauft werden. China wird alles daransetzen, den eigenen Markt bevorzugt aus eigener Produktion zu bedienen.

Das ist aber eben eine direkte Konkurrenz für Borouge. – Die BGI versorgt über Borouge die Chemieindustrie in China mit Spezialprodukten. Da haben wir ein stabiles Absatzsegment. Die BGI profitiert davon, dass sie unwahrscheinlich innovativ ist. Wir sind ja keine Plastiksackerl­firma, wir stellen für den Kunden hochgradig spezialisierte Produkte her.

Was bedeutet BGI für Österreich? – Dieser Merger ist ein historisches Ereignis in der Wirtschaftsgeschichte dieses Landes. Ich habe keinen Vergleich, wo über Nacht ein Unternehmen dieser Größenordnung das Headquarter des Unternehmens mit Sitz in Österreich bekommen hat. Für Borealis entsteht eine deutlich bessere Perspektive. Das Unternehmen ist und bleibt ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für Österreich. Damit einher geht die Stärkung des Wissenschaftsstandorts Österreich, denn wir werden eine viel breitere Innovationsforschung bei der BGI haben.

Sie kennen Österreich und auch Abu Dhabi sehr gut. Lassen sich so unterschiedliche Kulturen zusammenführen? – Warum soll das nicht möglich sein? Da mache ich mir keine Sorgen. Am Thema Integration arbeitet eine Garnison von Leuten, ich kenne sie alle, da sind die besten Leute dran. Wenn ich mir jetzt die beiden Unternehmen anschaue, egal welche Sprache sie sprechen, Österreichisch oder Arabisch oder Englisch: Wir alle können uns verständigen. Wir alle haben die gleiche Sprache, und das ist die Sprache der Zahlen. Am Ende müssen die Profite stimmen, danach richtet sich das Management aus. Das muss vernünftig gesteuert werden. Unterschiedliche Kulturen habe ich immer als Bereicherung erlebt. Ich bin seit vier Jahren in Abu Dhabi, dort ist es Multikulti par excellence.

Als Aktionärsvertreter von XRG werden Sie deutlich über 40 Prozent an der BGI halten. Heißt das, wir werden Sie wieder im Aufsichtsrat sehen? – Über die Aufsichtsratsbesetzung haben wir noch nicht gesprochen.

Es würde einen Sinn ergeben, oder? – Die Besetzung von Gremien klärt man üblicherweise zu einem späteren Zeitpunkt – man sollte sich selbst nie zu wichtig nehmen. Viel wichtiger ist jetzt das operative Geschäft. —

 

Ingrid Krawarik

Autor

Ingrid Krawarik

Chefredaktion

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