Porträt

Vom Schachbrett aufs Börsenparkett

Schachgroßmeister Stefan Kindermann zeigt Finanzprofis, wie sie mit Intuition und Strategie ihre Entscheidungen verbessern können.

Veröffentlicht

18.03.2025

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4 min
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Kindermann Schach
© Kindermann
Stefan Kindermann tritt regelmäßig als Keynote-Speaker vor Finanzprofis auf.

Einst galt Stefan Kindermann als so etwas wie das schwarze Schaf einer Professorenfamilie. „Wenn du als Teenager deinen Eltern klarmachst, dass du Schachprofi werden willst, stößt das auf wenig Verständnis“, sagt der heute 65-Jährige mit einem Schmunzeln auf den Lippen. Aber der gebürtige Wiener, der seit Kindheitstagen in München lebt, war hartnäckig. Obwohl er mit elf Jahren eigentlich viel zu spät mit dem Schach begann und nicht einmal einen Trainer hatte, schaffte er es zum Großmeister, gründete ganz nebenbei drei Unternehmen und gibt heute Finanzprofis Tipps aus seinem Großmeisterrepertoire. Denn das 1.500 Jahre alte, aus Indien stammende Brettspiel hat mehr mit den Strategien des Finanzmarkts gemein, als viele Laien denken. Mit dem „Königsplan“ hat Kindermann gemeinsam mit dem VWL-Professor Robert von Weiz­säcker eine Methode entwickelt, wie Manager von Schachtaktik und -strategien profitieren können.

„Es gibt bei allen Investitionen einen emotionalen Faktor
Stefan Kindermann

Das Unbewusste erkennen

In einem Wiener Kaffeehaus trifft der Börsianer den Schachgroßmeister, der legt sein Sakko zur Seite und entschuldigt sich förmlich, dass seine Sprechweise heute nicht mehr wienerisch klingt. Zum Einstieg spielen wir einige Züge blind Schach. Das ist für ihn kein Problem. Doch womit beeindruckt Kindermann eigentlich die Finanzprofis, zu denen er auf diversen Kongressen als Keynote-Speaker spricht? Wie viele Akteure ist auch Kindermann ein kühler Rechner - in seiner besten Zeit als Profi schaffte er es einmal, 25 Züge vorauszudenken. Kein Wunder, dass sich in der Finanzbranche auch einige Klasseschachspieler wie etwa der ehemalige Chefökonom des Internationalen Währungsfonds, Ken Rogoff, finden, der es wie Kindermann auch bis zur höchsten Schachauszeichnung, der des Großmeisters, brachte. Doch Schach und Finanzen sind beide bedeutend mehr als bloßes Rechnen. „Wir glauben immer, dass wir rein rational handeln würden, dabei sagt uns die Wissenschaft, dass 98 Prozent aller Entscheidungen und Handlungen unbewusst-intuitiv sind. Es gibt bei allen Investitionen einen emotionalen Faktor“, sagt Kindermann.

Das kennt er auch von den Spielen bei der Mannschaftsweltmeisterschaft oder den Schacholympiaden, bei denen er für Deutschland und für Österreich antrat. „Bei so einem Match gegen einen starken Gegner geht es oft um das Abwägen in kritischen Situationen, da gibt es das Gefühl der Angst und das der Gier, nur: Welchem soll man folgen?“ Die richtig guten Schachspieler wie der frühere Weltmeister Ma­gnus Carlsen, der noch immer als mit Abstand bester Spieler der Welt gilt, haben ebendiese Gabe, intuitiv meistens das Richtige zu tun und oftmals auch die eigene Angst zu überwinden.

Entscheidungen unter Zeitdruck

Doch kann man das auch lernen? Klar, sagt Kindermann. Wenn man vor einem Problem steht, helfe es, zunächst geistige Klarheit zu erlangen. Diese ruhige Analyse schützt vor Schnellschüssen, das ist ein zentraler Punkt seines Königsplans. Leichter gesagt als getan: Wenn eine Krise hereinbricht und eine schnelle Entscheidung gefragt ist, findet man nicht immer den richtigen Zug - in der Geschäftswelt und bei tickender Uhr im Schachspiel gleichermaßen. „Die richtig guten Spieler nehmen sich die Zeit, zumindest kurz in sich zu gehen, auf den eigenen Zustand zu achten und erst dann überlegt eine Entscheidung treffen“, sagt Kindermann, der in seiner Freizeit oft auf den bayerischen Kletterpfaden und -hallen zu finden ist.

Sobald viele glauben, dass eine Firma mal viel wert sein wird, ist sie tatsächlich viel wert
Stefan Kindermann

Vielleicht noch wichtiger ist die Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen. Was Kindermann auffällt: In Organisationen mit hierarchischen Strukturen fällt es den Menschen schwerer, das zu tun, als in flachen Strukturen. Doch: Wer sich in sein Gegenüber hineinversetzen kann, ist auch im Geschäftsleben besser, sagt Kindermann. Nach seiner Profikarriere stellte er sich die Frage wie man Menschen, die überhaupt nichts mit Schach zu tun haben, an den Planungs- und Entscheidungsstrategien des sich über die vergangenen 1500 Jahren immer wieder wandelnden Brettspiels teilhaben lassen kann. Er gründete dazu drei Unternehmen und begann die Ausbildung zum Coach und NLP-Master.

Vom Brett ins Business

Sein erstes Business – eine internetbasierte Schachinfo- und Datenplattform – zerplatzte mit der New-Economy-Blase. Aus dieser Zeit sind aber gute Kontakte und Freundschaften entstanden, etwa zum Immobilienunternehmer und Schachfreund Roman Krulich. Krulich unterstützte Kindermann und seine Kollegen bei der Gründung der Münchner Schachakademie, die unterschiedliche Schachtrainings für Kinder und Erwachsene anbietet. Daraus entstand auch die Münchener Schachstiftung, die Krulichs und Kindermanns zweites Projekt ist. Diese Stiftung fördert jährlich rund 1.000 Kinder aus Brennpunktschulen, etwa 100 Menschen mit körperlichen Behinderungen sowie bedürftige Senioren und Flüchtlinge durch Schach nach dem Königsplan-Konzept. Durchs Schachspiel würden die Schulkinder nicht nur lernen, bei den Mathematikschularbeiten zuerst ruhig die Textaufgabe zu lesen und erst dann draufloszurechnen.

Was will er noch erreichen? Kindermann geht kurz in sich: „Gerne würde ich noch verstärkt in der längerfristigen Begleitung und Beratung von Unternehmen tätig werden“, sagt er. Mit dem international tätigen österreichischen Thinktank Grantiro habe er da einen Anfang gemacht. Aktuell ist er dort in einen kreativen Changeprozess eines norddeutschen Automobilzulieferers eingebunden, der von der Schließung bedroht ist. Für Kindermann wäre es eine große Genugtuung, wenn er in diesem Match im Gewinnerteam wäre. 

Vita
Stefan Kindermann, Schachgroßmeister

Stefan Kindermann, Schachgroßmeister, Unternehmer und Autor, ist für seine strategischen Einblicke bekannt. Er hält ­regelmäßig Keynotes für Finanzprofis, in denen er Schach­strategien auf wirtschaftliche und unternehmerische Herausforderungen überträgt. Mehr Infos:

www.koenigsplan.com

Daniel Nutz

Autor

Daniel Nutz

Chefredaktion

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