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OMV-Tochter: Gigantische Fusion

Was die Milliarden-Fusion der OMV-Tochter Borealis mit der Adnoc-Tochter Borouge bedeutet und warum das gut für Österreich ist. Der Artikel erschien im Börsianer Magazin am 7. Juli 2025.

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08.07.2025

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© Borouge
Adnoc-CEO Sultan Al Jaber besichtigt Borouge 4. Die Erweiterung der Kapazitäten katapultiert die Adnoc-Tochter an die Spitze der weltweit größten Standorte der Polyolefin-Herstellung. Polyolefine sind Kunststoffe, die hauptsächlich für Verpackungen verwendet werden.

Die OMV AG schreibt derzeit Geschichte. Aber nur die wenigsten bekommen sie auch in ihrer ganzen Tragweite mit. Dabei ist die Fusion der OMV-Tochter Borealis mit der Adnoc-Tochter Borouge aus Abu Dhabi und der nordamerikanischen Nova Chemicals einer der größten jemals weltweit verhandelten Deals. Bis Anfang 2026 entsteht hier ein globaler Chemiegigant mit einer geschätzten Marktkapitalisierung von aktuell 60 Milliarden US-Dollar. „Der angegebene Wert spiegelt das kombinierte Eigenkapital und die Nettoverschuldung von Borouge und Borealis, den Unternehmenswert von Nova Chemicals, die Rückführung von Borouge-4 sowie die erwarteten Synergien wider. Zusammen begründen diese Komponenten eine Bewertung der Borouge Group International von über 60 Milliarden US-Dollar“, erklärt Adnoc-Tochter XRG auf Anfrage des Börsianer.

Die Zentrale der Borouge International Group, wie das Unternehmen in Zukunft heißen wird, befindet sich in Österreich. Also inmitten der drei Kernmärkte, die das Unternehmen in Zukunft umspannt, und gleichzeitig bevölkert von drei der unterschiedlichsten Kulturen weltweit. Eine transkulturelle Zusammenführung sozusagen. Kann das funktionieren? Alles stehe und falle hier mit den handelnden Personen. Es gebe wenig, das beide Seiten so stark gewollt hätten wie diese Transaktion, sagt ein Marktinsider zum Börsianer. Und: Diesen Deal habe nur die OMV AG verhandeln können. Denn wer im arabischen Raum Geschäfte machen wolle, brauche das Vertrauen der Sultane, das über mehrere Jahre aufgebaut werden müsse, bevor der erste Deal unterzeichnet werde.

Nun unterhalten die OMV AG und Adnoc seit rund 25 Jahren enge Geschäftsbeziehungen und wechselseitige Beteiligungen. Adnoc steht für Abu Dhabi National Oil Company, dem staatseigenen Ölkonzern der Vereinigten Arabischen Emirate, dessen CEO Sultan Ahmed Al Jaber zugleich auch Minister für Indus­trie und Technologie ist und auch für Klimafragen verantwortlich zeichnet.

© Börsianer
Ex-OMV-Chef Rainer Seele ist zurück und soll das internationale Chemiegeschäft von Adnoc verantworten, das kürzlich auf die Plattform XRG ausgegliedert wurde.

An der Borealis hält Adnoc 25 Prozent, an Borouge, das 1998 von Adnoc und ­Borealis gegründet wurde, hält Letztere 36 Prozent. Und die Adnoc-Beteiligung an der OMV AG mit 24,9 Prozent hat so gesehen auch feindliche Übernahmen verhindert. Obwohl es zu Zeiten von Finanzminister Hans Jörg Schelling eine kurze Midlife-Crises in dieser Beziehung gegeben haben soll, konnten im Mai 2017 der damalige Bundeskanzler Christian Kern und der damalige OMV-Generaldirektor Rainer Seele bei einem Besuch in Abu Dhabi den Beginn für eine langfristige Partnerschaft legen – die jetzt große Früchte trägt.

Rainer Seele 2.0

Ausgerechnet Rainer Seele, der geschasste ehemalige OMV-AG-Vorstandschef, der mit der Akquisition der Borealis im März 2020 – damals wurde der Anteil von 36 auf 75 Prozent erhöht – den Grundstein für die Teiltransformation der OMV AG in die Wege geleitet hatte, ist in Zukunft für das Chemiegeschäft der Adnoc verantwortlich. Adnoc hat erst kürzlich ihre internationalen Beteiligungen aus den Bereichen Gas, Energielösungen und Chemie auf die Plattform XRG ausgegliedert. Rainer Seele führt derzeit für Adnoc, bei der er vor drei Jahren beratend eingestiegen ist, die Übernahme der Covestro durch, das erste Dax-Unternehmen, das von einem internationalen Konzern aus Abu Dhabi vollständig übernommen wird. Zumindest besaß Adnoc zu Redaktionsschluss 91,3 Prozent, für ein Squeeze-out fehlen nur noch 3,7 Prozent.

Kreuzbeteiligungen
25 Prozent hält Adnoc direkt an Borealis. Über die 24,9-Prozent-Beteiligung an der OMV AG kommen laut Analyse von Wood & Company indirekt 18,8 Prozent an Borealis hinzu, da die OMV AG 75 Prozent an Borealis hält. Neben ihrer ­direkten Beteiligung von 54 Prozent an Borouge hält ­Adnoc indirekt weitere neun Prozent an Borouge über Borealis, die 36 Prozent an Borouge besitzt. Der OMV AG gehören deshalb über Borealis effektiv 27 Prozent an Borouge.

Rainer Seele muss also Brücken schlagen. Auf OMV-AG-CEO Alfred Stern, der auch ehemaliger Vorstandschef der Borealis ist, wird er nicht zurückgreifen können. Stern hat seinen Vertrag bei der OMV AG aus persönlichen Gründen nicht verlängern wollen. Ein Wermutstropfen für Seele. Alles steht und fällt mit den handelnden Personen. Wer aufseiten der OMV AG die neue Tochter in nie geahnte Höhen führen wird, müssen jetzt die Österreichischen Beteiligungs AG (Öbag) und Adnoc mit OMV-Aufsichtsratschef Lutz Feldmann klären. Solange es kein Mark Garrett ist. Seinetwegen hatte Seele damals die OMV AG verlassen.

Börsengang 2026

An die Börse geht die Borouge International Group zuerst in Abu Dhabi, wo schon eine große Anzahl an Adnoc-Töchtern notiert ist, ab 2027 ist von der Öbag, mit 31,5 Prozent größte OMV-Aktionärin, auch ein Zweitlisting für die Börse Wien verhandelt worden, „das angestrebt wird“. Die Eigentümer der Borouge International Group, die im ersten Quartal 2026 nach allen rechtlichen Freigaben gegründet sein soll, sind zu gleichen Teilen die OMV AG und die Adnoc mit jeweils 46,94 Prozent. Aber nicht lange. Denn eine geplante Kapitalerhöhung in Höhe von vier Milliarden US-Dollar, bei der die Eigentümer nicht mitziehen werden, soll nicht nur die Bilanz des neuen Chemieriesen stärken, sondern auch das Investmentgrade-Rating und den Einzug in den MSCI-Weltaktienindex sichern. Der Streubesitz dürfte sich auf zehn bis 15 Prozent einpendeln. Das bestätigt auch Öbag-Chefin Edith Hlawati dem Börsianer: „Alle Partner wollen das Zweitlisting in Wien und arbeiten daran. Es liegt aber nicht nur an uns. Das Listing ist uns ebenso wichtig wie die Aufnahme in den MSCI World. Und dafür sind noch ein paar Vorarbeiten notwendig: Zuerst kommt die Zusammenführung am Börsenplatz Abu Dhabi. Dann wird es eine weitere Kapitalerhöhung geben, bei der die Altaktionäre nicht mitziehen, um den Streubesitz von jetzt sechs auf über zehn Prozent zu erhöhen. Das ist die Vor­aussetzung für die Aufnahme in den MSCI-Index, die vor dem Listing in Wien erfolgen muss. Wahrscheinlich wird dieses in zwei Jahren kommen.“

Alle Partner wollen das Zweitlisting in Wien und arbeiten daran. Es liegt aber nicht nur an uns. Das Listing ist uns ebenso wichtig wie die Aufnahme in den MSCI World.
Edith Hlawati
Öbag-Chefin

Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer lobt die „Weitsicht des OMV-Managements, die in den Verhandlungen ein wesentlicher Faktor für das Zustandekommen dieses wirtschaftlich wie standortpolitisch bedeutsamen Deals war.“ Von einer Sonderbesteuerung für Borouge International ist ihm auf Börsianer-Anfrage derzeit nichts bekannt.

Hier wird Geschichte geschrieben

Doch was macht die Borouge International Group so spannend, und warum ist das gut für Österreich? „Dieser Deal schafft nicht nur das größte heimische Unternehmen, sondern auch einen globalen Player. Das war ein wichtiges Zeichen für Österreich als Wirtschaftsstandort und hat uns international viel Beachtung eingebracht“, sagt Edith Hlawati. Und: „Die für uns wesentlichsten Punkte sind im Österreich-Paket zusammengefasst und beinhalten neben dem Unternehmensstandort und der damit verbundenen Steuerhoheit auch das Zweitlisting sowie die F&E-Zentrale in Österreich mit den Standorten Linz und Wien. Ein großer Erfolg des Deals sind die langfristigen Verträge für die Raffinerien in Schwechat und Burghausen, die die Auslastung absichern“, erklärt Hlawati. Mehrere Vorzüge des Deals werden auch von XRG hervorgehoben: Die Borouge International Group profitiere von „kostengünstigeren Rohstoffen, hochmodernen, firmeneigenen Technologien und einem identifizierten Synergiepotenzial von bis zu 500 Millionen US-Dollar pro Jahr“.

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OMV-Chef Alfred Stern hat die Fusion mitverhandelt, aber kein Interesse, die OMV AG weiterzuführen. Er hat seinen Vertrag nicht verlängert.

Die Borealis ist mit ihren zigtausenden Patenten das Herzstück der Innovation des neuen Konzerns, diese Technologien sollen auf allen drei Standorten zum Einsatz kommen. „Die Kapazitäten und der Wettbewerbsvorteil von Borouge durch die günstigeren Rohstoffe sind für den chinesischen/asiatischen Markt vorgesehen“, sagt Hlawati. Die jetzt getätigten Investitionen von Borouge, Stichwort Borouge 4, und Zukäufe der Borealis sorgen für eine massive Ausweitung der Kapazitäten. So soll durch die Erweiterung Borouge 4 in Abu Dhabi der dortige Standort zusätzlich 1,4 Millionen Tonnen Polyolefine, das sind Kunststoffe, die hauptsächlich bei Verpackungen zum Einsatz kommen, produzieren und damit mit insgesamt 6,4 Millionen Tonnen zum weltgrößten Produktionsstandort aufsteigen. Das ­alles passiert derzeit vor der Fusion, das heißt, Wachstum ist bereits eingeloggt. Als viertgrößter Polyolefin-Produzent der Welt hat die Borouge International Group nur noch Simopec, CNBC und Exxon Mobil vor sich.

Was wird aus der OMV?

Die Borouge International Group ist für die OMV AG eine lukrative Cashcow. Von den jährlich 2,2 Milliarden US-Dollar an geplanten Dividendenzahlungen wird etwa eine Milliarde US-Dollar an die OMV AG abgeliefert werden. Kann sich die OMV AG deshalb auf ihrer Chemie-Tochter ausruhen? Für den eigenen Aktienkurs wird sich der heimische Konzern eine neue Strategie überlegen müssen. Das Logo grün anzufärben oder sich mit Wasserstoff sowie Re-Oil – bei dem aus Plastikmüll wieder Öl fabriziert wird – als nachhaltigen Player zu positionieren ist zu wenig glaubwürdig. Damit lassen sich auch keine Milliarden verdienen, denn dafür sind die Energiekosten in Österreich zu hoch. „Die OMV hat ihren USP für Europa, also das russische Gas, verloren. Wegen Borealis-Borouge wird sich der Aktienkurs der OMV vorerst nicht verdoppeln, diese Fusion müsste die OMV aber sichtbarer machen. Und Wasserstoff kann man als profita­ble Eigenproduktion in Europa vergessen, weil Nordafrika und Arabien das weitaus günstiger produzieren können und via Pipeline in transportierbarer Form nach Europa liefern werden“, sagt Assetmanager Wolfgang Matejka, der die OMV AG seit ihrem Börsenstart im Dezember 1987 begleitet.

Die OMV hat ihren USP für Europa, also das russische Gas, verloren. Wegen Borealis-Borouge wird sich der Aktienkurs der OMV vorerst nicht verdoppeln, diese Fusion müsste die OMV aber sichtbarer machen.
Wolfgang Matejka
Assetmanager

Was also tun? „Das Erdgas im Schwarzen Meer in Rumänien, das die OMV dort ab 2027 fördern will, könnte sie wieder in einen Playermode bringen“, meint Matejka. Im März 2025 begannen beim Projekt namens Neptun Deep erste Gasförderbohrungen. „Es ist das größte Gasentwicklungsprojekt Europas und würde Rumänien als Gasselbstversorger und Europas größten Gasproduzenten positionieren“, sagte OMV-Vorstandschef Alfred Stern bereits 2023 zum Börsianer. Erdgas passt derzeit allerdings nicht in die grüne Positionierung der OMV AG, die ihre fossile Energie nicht an die große Glocke hängen möchte.

© OMV AG
Die OMV AG will ab 2027 Erdgas im Schwarzen Meer fördern. Neptun Deep ist das größte Gastentwicklungsprojekt Europas.

Auf Börsianer-Anfrage wurden von der OMV AG jedoch folgende Zahlen hervorgehoben: Bis 2030 sollen 1,5 Millionen Tonnen an erneuerbaren Kraftstoffen und chemischen Rohstoffen produziert werden, die Rohölverarbeitung soll um 2,5 Millionen Tonnen im Vergleich zu 2019 reduziert werden, überdies sollen 5.000 Schnell- und Ultraschnellladestationen für Elektrofahrzeuge aufgebaut werden. Der Gasanteil im Geschäftsbereich Energy soll bei 60 Prozent liegen, wichtig ist der OMV AG auch die Positionierung als Produzent nachhaltiger Luftfahrtkraftstoffe.

Zwei Jahre, bis neue Strategie steht

Bis eine neue Strategie steht, wird es ohnehin noch etwa zwei Jahre dauern. Der neue CEO übernimmt frühestens Mitte 2026 bei der OMV AG das Kommando, und von heute auf morgen wird dieser keine Marschrichtung aus dem Ärmel zaubern.

Gefühlt war die OMV in den letzten 25 Jahren immer mit neuen Umstrukturierungen beschäftigt. Die Gruppe der Inlandsinvestoren ist zu klein, um die Aktie zu bewegen, für Auslandsinvestoren ist die Story noch zu weit weg oder einfach noch nicht gut genug erzählt. Sie ist zu wenig greifbar, und der CEO ist auch schon wieder weg.
Alois Wögerbauer
Chef 3 Banken Generali Investment

Dass die Aktie der OMV AG trotz Milliardendeal nicht in Bestform ist, hat für Assetmanager Alois Wögerbauer, Chef der 3 Banken Generali Investment, auch mit der Historie des Konzerns zu tun: „Gefühlt war die OMV in den letzten 25 Jahren immer mit neuen Umstrukturierungen beschäftigt. Die Gruppe der Inlandsinvestoren ist zu klein, um die Aktie zu bewegen, für Auslandsinvestoren ist die Story noch zu weit weg oder einfach noch nicht gut genug erzählt. Sie ist zu wenig greifbar, und der CEO ist auch schon wieder weg.“ Wögerbauer zählt trotzdem zu den „Optimisten. Die Aktie ist günstig, ich habe sie mit 9,4 Prozent im Österreichfonds gewichtet.“

Jonathan Lamb, Analyst bei Wood & Company, traut der OMV AG mehr zu. „Der Borouge-Deal ist für die OMV enorm wichtig. Das Unternehmen steuert hochpreisige europäische Petrochemikalien bei und erhält im Gegenzug kostengünstige Vermögenswerte aus dem Nahen Osten und Nordamerika“, sagt Lamb, der den Preis der OMV-Aktie nächstes Jahr bei mehr als 60 Euro prognostiziert, derzeit notiert sie um die 45 Euro. OMV-CFO Reinhard Florey freut sich über die erste positive Resonanz. „Die vollständige Spiegelung des Wertes von Borouge Group International ist damit nicht erreicht, sondern erst angestoßen. Wir gehen davon aus, dass unser intensiver Dialog mit den Kapitalmärkten sowie der geplante, erfolgreiche Abschluss der Transak­tion bis Q1/2026 – gefolgt von der Erstnotierung von Borouge Group International an der Börse Abu Dhabi und später an der Wiener Börse – zu einer erhöhten Werttransparenz beitragen werden. Dies sollte auch dem im Aktienpreis reflektierten Wert von OMV zugutekommen.“ —

Ingrid Krawarik

Autor

Ingrid Krawarik

Chefredaktion

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